Immunität

Ein paar Forschungserkenntnisse zur Immunität
Eine erfolgreiche Bekämpfung der Pandemie hängt davon ab, wie gut das Immunsystem auf die Viren reagieren kann. Darüber wird viel geforscht. Zur Kreuzimmunität, zu Immunprofilern, zu Antikörpern. Fünf Medienberichte zwischen Juni und September 2020.
Bringen wir das Virus mit dieser Rüstung in Harnisch? Harnisch-Brust 1590–1600 (Schweizerisches Nationalmuseum)

Kreuzimmunität: »Leider ist es wie immer recht kompliziert.«

Interview von Florian Schumann mit Claudia Giesecke-Thiel vom Berliner Max-Planck-Institut und Andreas Thiel von der Charité in Berlin über ihre Forschung zur Kreuzimmunität auf Zeit-Online, 16. Juni 2020

»… Bei einem Drittel der von uns untersuchten gesunden Menschen haben wir bestimmte T-Gedächtniszellen im Blut gefunden, die das neue Coronavirus erkennen können… Wir vermuten, dass diese Zellen vorhanden sind, weil sich der Körper dieser Person schon einmal mit anderen Coronaviren auseinandergesetzt hat… Man kann die T-Helferzellen als Steuerzellen des Immunsystems bezeichnen… (sie) erkennen die Virusbruchstücke des Erregers als fremd… Ab diesem Moment steuern sie die weitere Abwehrreaktion… Unter anderem sorgen sie dafür, dass passgenaue Antikörper gegen das Virus generiert werden… T-Gedächtniszellen können jahrzehntelang im Körper zirkulieren… Infiziert sich eine Person dann nochmal mit dem gleichen Erreger, sorgen T-Zellen dafür, dass das Immunsystem dann schneller und effektiver reagiert… Diese Aktivierung funktioniert eben nicht nur, wenn sich Erreger in allen Einzelheiten gleichen. Manchmal reicht es schon, wenn sie sich in bestimmten Abschnitten ähnlich sind… Man schätzt, dass die vier hierzulande bekannten heimischen Coronaviren jedes Jahr im Winter 20 Prozent der Erkältungen verursachen. Ein durchschnittlicher Erwachsener steckt sich vielleicht alle zwei bis drei Jahre damit an… Wir wissen, dass diese Corona-spezifischen Antikörper recht schnell wieder verschwinden… Eine große Rolle spielt das Spike-Protein, das dem Virus den Eintritt in die Zelle ermöglicht. Einige Abschnitte dieses Proteins ähneln sich bei SARS-CoV-2 und den Erkältungscorona-Viren stark – etwa 20 bis 40 Prozent… Wir Immunologen werden da hellhörig. Wir haben vermutet, dass es da eine Kreuzimmunität geben könnte… Jeder dritte gesunde Teilnehmer (der untersuchten 68, a.s.) wies eine Kreuzimmunität auf… In einer anderen Studie haben die Autoren bei der Hälfte der gesunden Probanden kreuzreaktive T-Zellen gefunden. Allerdings wurden nur elf Personen untersucht… Vergangene Coronavirus-induzierte Erkältungen könnten Menschen also vor einem schweren Verlauf von Covid-19 schützen… Wir kennen aber auch negative Effekte des Immunsystems, nämlich dann, wenn eine Immunantwort überschießt oder fehlgeleitet ist. Möglicherweise könnten die kreuzreaktiven T-Zellen anzeigen, dass ein Organismus Antikörper gebildet hat, die das Virus gar nicht neutralisieren, sondern ihm den Zelleintritt erleichtern und so die Infektion sogar noch verschlimmern könnten. Das wird gerade unter Forscherinnen und Forschern diskutiert…«

Frage: Was bedeutet das für die Pandemie?

»Für die Zahlen, die wir jetzt haben: leider gar nichts. Die sind ja zustande gekommen, obwohl diese Mechanismen schon die ganze Zeit in Kraft waren. Sie sind also sozusagen schon eingerechnet… (Vielleicht) wären noch sehr viel mehr Menschen schwer krank geworden oder gestorben… Aber auch das muss für SARS-CoV-2 erst noch erforscht werden… Im Moment sprechen wir erst über eine immunologische Beobachtung. Wir wollen andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ermutigen, mit unseren Methoden weitergehende Studien durchzuführen… Es gibt aber auch andere Gründe, warum manche Menschen nicht krank werden. Genetische Faktoren spielen da eine Rolle. Aber auch, wie viele Viruspartikel man wie abbekommt. Außerdem könnte bei manchen Personen schon das angeborene Immunsystem den Erreger abschmettern, sodass es gar nicht erst zu einer Immunantwort von T- und B-Zellen kommt. Es kann auch sein, dass sich Menschen nicht an infizierten Haushaltsmitgliedern anstecken, weil sie diese meiden. Leider ist es wie immer recht kompliziert… Wer sich infiziert hat, könnte trotz kreuzreaktiver T-Zellen ein paar Tage ansteckend sein – auch wenn er nur wenige oder gar keine Beschwerden hat…«

Frage: Kreuzimmunität und Impfstoff?

»Falls sich bestätigt, dass diese T-Zellen schützend wirken, müsste das bei der Impfstoffentwicklung unbedingt beachtet werden. Angenommen, man testet einen Impfstoff an 100 Leuten: Bei 50 misst man eine Immunreaktion, bei 50 nicht. Was, wenn sich herausstellt, dass die 50, bei denen es funktioniert, schon vorher schützende T-Zellen hatten? Dann kann es sein, dass der Impfstoff an sich unwirksam war… Schon in Phase-I-Studien müssten also vorher getestet werden, ob die Probanden diese kreuzreagierenden T-Zellen haben…«

Werden Antikörper überschätzt, fragt die SZ am 18. Juli 2020.

Antikörper spielen eine wichtige Rolle im menschlichen Immunsystem. Wird die Rolle dieser Eiweiße in der Öffentlichkeit überschätzt?, fragt Kathrin Zinkant in der SZ. Antikörper erkennen Krankheitserreger und machen sie unschädlich. Sie bilden eine Art Gedächtnis, mit dem Abwehrzellen sich an Erreger auch später noch erinnern können. Aber in Bezug auf das SARS-CoV-2 gibt es noch keine gesicherten Erkenntnisse. So ist es problematisch, dass beispielsweise in der Studie von Heinsberg anhand von Antikörpertests von einer beginnenden Herdenimmunität gesprochen wurde. Man weiß schlichtweg noch nicht, ob das stimmt. Als Argument für Lockerungen taugt diese Aussage demnach noch nichts. Die Politiker Laschet, Spahn und Söder wiegen sich zu Unrecht in Sicherheit, wenn sie sich auf die Antikörper kaprizieren. Von Immunitätsausweisen sollte man absehen, solange keine validen und besseren Resultate zur Wirkung von Antiköpern vorliegen. Antikörper stellen nur einen Teil eines komplexen menschlichen Abwehrsystems dar, sich auf sie zu fixieren, kann gefährlich sein. Und: Das neue Virus ist noch sehr, sehr jung. Zu viele Fragen sind noch offen: Beschleunigen Kinder die Pandemie oder hemmen sie sie? Wie viele Covid-19-Infizierte sind nach der Krankheit wirklich immun? Und für wie lange (Osterüberraschung)? Können Antikörper einen wirksamen Impfstoff anzeigen?

Die Faktenlage ist dünn. Politiker und Beamte sollten sich vorsehen mit Aussagen und Prognosen.

Verliert die Pandemie an Kraft?, fragt die NZZ am 26. Juli 2020.

Alan Niederer hat sich über die Kraft der Pandemie informiert. Es sei festzustellen, dass sich der Schwerpunkt der Ansteckungen auf die jüngere Generation verlagert hat. Dies hat zur Folge, dass die Spitaleinweisungen, die schweren Verläufe und die Todesfälle stark zurückentwickelt haben. Martin Ackermann von der Covid-Taskforce plädiert jedoch dafür, die eingeschlagene Eindämmungsstrategie weiterhin aufrecht zu erhalten, um eine zweite Welle zu verhindern. Eine Durchseuchungsstratgie sei gefährlich, da die älteren Menschen und die Risikogruppen nicht genug geschützt werden können. Florida und Israel seien als problematische Beispiele zu nennen, wo restriktive Gegenmaßnahmen erwogen würden. Niederer lässt Stimmen zu Wort kommen, die eine etwas andere Sichtweise einnehmen. In gewissen Regionen der Schweiz (Tessin, Genf) seien 20 Prozent der Bevölkerung mit dem Virus in Kontakt gekommen. In anderen Regionen der Welt sehen die Werte ähnlich aus. Einzig aus Mumbai hörte man Zahlen, die deutlich höher waren, allerdings wird die Solidität der angegebenen 60-prozentigen Immunität angezweifelt. Ab zwei Drittel Immunen spricht man von der sogenannten Herdenimmunität SARS und Masern . Es gibt allerdings Fachleute, die diesen Wert als zu hoch ansetzen. Der emeritierte Genfer Infektiologie Bernhard Hirschel meint etwa, dass vielleicht nicht alle Personen gleich empfänglich für das Virus seien. Zudem komme es auf das Sozialverhalten des Einzelnen an, jene mit wenigen Kontakten seien weniger bedeutsam für die Ausbreitung. Zudem sagt er, entgegen der Auffassung von Ackermann, dass es zu einer Trennung der Altersgruppen gekommen sei. Deshalb trete die Herdenimmunität vielleicht schon bei einem tieferen Wert ein. Andere Ärzte betonen die verschiedenen Varianten, wie der Mensch auf Infektionen reagiere, es seien nicht nur Seroprävalenz-Erhebungen, die die Antikörper messen, nötig, sondern man müsse auch Immun- und Gedächtniszellen berücksichtigen. Der St.-Galler Infektiologe Pietro Vernazza betont die Rolle der Kreuzimmunität. Bei 20 bis 50 Prozent der Bevölkerung lassen sich T-Zellen nachweisen, die auf das SARS-CoV-2 reagieren. Diese zelluläre Immunität dürfe nicht unterschätzt werden, sagt Vernazza, diesen Fehler habe man schon während der Schweinegrippe gemacht. Gerade in Familien zeige sich, dass sich bei weitem nicht alle ansteckten oder dann nur milde erkrankten. Die jetzige Strategie des Distanzhaltens könne sich negativ auswirken, würde doch damit die Ansteckung durch andere Coronaviren, die zu einer Kreuzimmunität führen könnten, unterbunden. Die Fokussierung auf Covid-19 würde die Perspektive verengen, schwerere Krankheiten könnten aus dem Blickfeld geraten, so Vernazza.

Über »Immunprofiler« schreibt die NZZ am 29. August.

Ulrike Gebhardt fasst verschiedene internationale Fach-Beiträge zusammen, die sich mit der Immunabwehr unterschiedlich stark erkrankter Covid-Patienten beschäftigen. Eine erfolgreiche Behandlung der Patienten hängt u.a. davon ab, wie gut das Immunsystem auf die Viren reagieren kann. Untersuchungen haben ergeben, dass in einem relativ frühen Stadium drei Werte von bestimmten Botenstoffen (IL-9, IL-10, IP-10) andeuten, ob jemand einen schweren oder einen leichteren Krankheitsverlauf vor sich hat. Wenn die Werte dieser drei Botenstoffe hoch sind, bleibt das Immunsystem der Erkrankten in permanenter Alarmstimmung, obwohl schon Antikörper gebildet worden sind. »Das koordinierte Hand-in-Hand-Gehen von der frühen angeborenen Immunantwort und der lernfähigen Immunantwort ist bei schweren Covid-19-Erkrankungen gestört. Die Alarmglocken der Erstabwehr schrillen weiter, selbst wenn das Immunsystem beginnt, Antikörper und spezialisierte, auf das Virus zugeschnittene Immunzellen (T-Zellen) bereitzustellen.« Es gelingt nicht, das Virus effektiv zu kontrollieren, die Abwehr »powert« weiter, sagt die Immunologin Akiko Iwasaki der Yale-School of Medicine. Es würden zahlreiche unreifen Abwehrzellen produziert, was eine »unproduktive Überhitzung des Systems« zur Folge habe (Zytokinsturm). Bei milden Verläufen sind qualitativ bessere Antikörper festgestellt worden als bei problematischen Patienten. Immunprofile, die bei der Einlieferung ins Krankenhaus erstellt werden sollen, könnten Hinweise darauf geben, welcher Verlauf zu erwarten ist. Es gelte, besonders diejenigen Bereiche der Immunantwort herunterzufahren, sie sich selbst ausbremsen. Das sei ein »Balanceakt«, sagt Jacob Nattermann vom Bonner Universitätsklinikum vor der Presse.

Am 12. September fragt die NZZ: Immun oder nicht immun? 

Ulrike Gebhart beschäftigt sich mit der entscheidenden Frage, ab wann jemand immun ist und wie lange der Schutz anhält. Ein Blick in die Fachzeitschriften zeigt, dass das Thema immer wieder widersprüchlich behandelt wird. Noch kann die Forschung keine einheitlichen, erhärteten Unterlagen zum Thema unterbreiten.

Grundsätzlich hänge es vom Erreger ab, wie lange eine Immunität daure. Elf Jahre nach einer Tetanusimpfung etwa könne man noch beachtliche Mengen Antikörper feststellen, bei Windpocken nach 50 Jahren, bei Röteln nach 114 Jahre und bei Mumps gar nach 542 Jahre. Studien aus den USA und Island sprechen bezüglich SARS-CoV-2 von drei bzw. vier Monaten. Drei Monate nach einer Ansteckung fand man zudem Gedächtniszellen im Blut, B-Zellen (die Plasmazellen bilden, die ihrerseits Antikörper produzieren), und T-Zellen. Wichtig sei, ob sich Antikörper für eine bestimmte Zeit auf einem gewissen Niveau einpendeln können. Hierzu braucht es längerfristig ausgerichtete Studien, sagt der Experte für das immunologische Gedächtnis Andreas Radbruch vom Deutschen Rheuma-Zentrum in Berlin.

Aufschlussreich könnte die Analyse der kürzlich aufgetretenen vier Zweitinfektionen sein. Bei drei dieser vier verlief die Erkrankung milde, milder zumindest als die Ersterkrankung. Bei einem Fall war der Verlauf schwer, Intubation inklusive. Bei den milden Fällen habe offenbar das Immunsystem erfolgreich reagiert. Im besten Fall haben die Antikörper den Kontakt der Viren mit den Körperzellen verhindert; im zweitbesten Fall haben die B-Gedächtniszellen und T-Zellen schnell genug auf die Gefahr geantwortet und die Viren effizient angegriffen und eliminiert. Nach einer Ansteckung und einer erfolgreichen Bekämpfung bleiben etwa 10 Prozent der B- und T-Zellen am Leben. Kommen diese Zellen bei einem zweiten Mal zum Einsatz, »investiere die Immunabwehr in ein schützendes Immungedächtnis«, sagt Radbruch. Diese Gedächtniszellen lagern sich im Knochenmark ab, wo sie längerfristig überleben und bei Bedarf abgerufen werden können (Vgl. hierzu auch Osterüberraschung aus Südkorea).

Bei der Eindämmungsstrategie, die aus vernünftigen und nachvollziehbaren Gründen verfolgt wird, komme es vermutlich zu sehr wenigen Zweitinfektionen. Die genannte Investition der Immunabwehr werde deshalb eher selten zum Zuge kommen. Das habe Folgen für die Impfung: es seien, so Radbruch, zwei Impfungen nötig, damit das schützende Immungedächtnis aktiviert werde. Heikel für die Entwicklung des Impfstoffes seien nun jene Fälle, in denen die Immunabwehr zum eigentlichen Problem wird. Für schwere Verläufe seien nicht unbedingt die Viren selbst die Ursache, sondern das gewissermaßen amoklaufende, überschießende Immunsystem. Diese Überreaktion beeinträchtige auch die Bildung des Gedächtnisses. Dieses Phänomen kennt man aus der Rheumatologie. Das müsse man aber bezüglich SARS-CoV-2 noch genauer untersuchen, sagt Radbruch. Merkwürdig sei aber auch, so sagt Mascha Binder vom Universitätsklinikum Halle, die ungenügende Präzision bei der Reifung von B-Zellen. Das hat zur Folge, dass die Antikörper zu überstürzt hergestellt und zu ungenau angepasst werden. Sie können die Viren nicht unschädlich machen. Diese unbrauchbaren Antikörper könnten die »Entgleisung der Abwehr noch befeuern«.

Noch delikater für die Entwicklung des Impfstoffes ist die vierte Zweitinfektion, in der es dem Patienten noch schlechter ging. Offenbar hat sein Immunsystem die erste Erkrankung gut gemeistert. Doch vielleicht habe sich die Immunabwehr hinterher falsch organisiert, so »dass ihre Aktionen bei einem erneuten Kontakt mit dem Virus nicht schützen, sondern schaden und schwere(re) Symptome auftreten.« Sollte es vermehrt zu Zweitinfektionen kommen, wird sich zeigen, in welche Richtung das Pendel schlägt und wie hoch das Risiko ist.

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Das bezieht sich auf den SARS-CoV-2. Bei Masern, die sich viel stärker verbreitet, liegt der Prozentsatz bei über 90.

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Der Pandemieplan Schweiz, in der aktuellen Fassung der Influenza-Pandemieplan Schweiz 2018, ist ein Planungsinstrument, das Strategien und Massnahmen zur Vorbereitung der Schweiz auf eine (Influenza-)Pandemie dokumentiert. Er wird von der Eidgenössischen Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP) und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) herausgegeben.

Der erste Pandemieplan für die Schweiz wurde von einer Arbeitsgruppe unter Leitung von Robert Steffen ausgearbeitet. Die Vorarbeiten wurden 1995 begonnen; der erste schweizerische Influenza-Pandemieplan wurde im Jahr 2004 veröffentlicht. Ein zentrales Anliegen sei laut Steffen dabei gewesen, dem Bund die Führung zu überlassen.

Nach den Erfahrungen in der Bewältigung der Influenza-Pandemie 2009 wurde der Schweizer Pandemieplan vollständig revidiert.

Kristian G. Andersen et al, The proximal origin of SARS-CoV-2, 

(abgerufen am 2.5.2020)