Wenn es den Pneumologen trifft

Auf der Intensivabteilung der eigenen Station
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Cihan Çelik ist Pneumologe am Klinikum Darmstadt. Dort behandelt er Covid-19-Patienten. Aber unversehens sieht sich der 34-Jährige als Patient in der Intensivabteilung der eigenen Station. Im Interview mit der FAS vom 1. November 2020 berichtet er über den Verlauf.
Wenn man die richtigen Schalterhebel nicht mehr findet... (Ausschnitt auch Christoph Hänslis Welt der Dinge)

Cihan Çelik erholt sich gerade von den Strapazen der Intensivbehandlung im Krankenhaus (Chronische Erschöpfung). Er fühlt sich schwach und der Kreislauf macht immer noch Probleme. Da er noch in Isolation ist, darf er keine Spaziergänge unternehmen. Begonnen hat es so: »Ich habe vor zwei Wochen … so starke Kopfschmerzen bekommen, dass ich davon wach wurde, was sehr untypisch ist, auch für Covid. Dennoch hat mich das sehr irritiert – auch in dem Wissen, dass ich in der Woche vorher eine Risikobegegnung aufgrund eines medizinischen Notfalls auf der Station hatte. Deshalb habe ich noch stärker als sonst auf die Symptome geachtet. Ich bekam dann noch in der Nacht Fieberschübe, am nächsten Tag wurde ich positiv getestet…« Er wurde in dieser Notfallaktion als einziger der Station angesteckt, offenbar war es eine »punktuelle, unglückliche Situation.«

Es kommt vor, dass nicht immer alle Hygienestandards und der Selbstschutz hundertprozentig eingehalten werden können: »Beispielsweise hält eine beschlagene Brille einen davon ab, einen präzisen Hautschnitt durchzuführen, um Flüssigkeit aus der Umgebung der Lunge abzusaugen. Dann kann man diese Brille kurz nicht nutzen. Das ist ein Beispiel, das viele Kollegen von Covid-Stationen kennen. Wenn in dem Moment der Patient hustet, muss man danach aufpassen und sich im Zweifel testen lassen…« Dass er schwer erkrankte, war zwar unerwartet, aber es gibt keine Garantie für milde Verläufe, auch für Jüngere ohne Vorerkrankung.

Çelik schildert es so: »Mein Allgemeinzustand hat sich innerhalb von drei Tagen massiv verschlechtert, ich hatte hohes Fieber und Husten mit starkem Auswurf. Dann kam es zu einer Covid-Komplikation in meiner Lunge, die dazu geführt hat, dass sich mein Zustand innerhalb weniger Stunden so verschlechtert hat, dass ich am Montag auf die Intensivstation musste – also drei Tage nach Symptombeginn. Effektiv stand nur noch ein Lungenflügel zur Belüftung bereit. Der andere Lungenflügel war durch einen großen bakteriellen Infekt mehr oder weniger außer Gefecht gesetzt. Das war nicht das typische Bild einer Covid-Lungenerkrankung, aber Covid hat dazu geführt, dass sich eine bakterielle Superinfektion auf die Lunge draufgesetzt hat… Ich war in einem Zustand, in dem ich mir über Angst nicht mehr viele Gedanken machen konnte. Aber an der Reaktion meiner Kollegen, die mich hervorragend betreut haben, war zu merken, dass es sich um einen sehr besonderen und sehr schweren Verlauf handelte, mit dem selbst auf der Intensivstation niemand gerechnet hat. Das hat viele Kollegen überrascht und schockiert – mich auch. Zum Glück hat sich eine deutliche Verbesserung gezeigt, nachdem wir mit einer starken medikamentösen Therapie begonnen haben. Und dann kam eben dazu, dass ich jung und keine Vorerkrankungen habe. Da kann sich die Lunge relativ schnell von so einer Entzündung erholen… Wenn man im Krankenhaus arbeitet, kennt man das: Patienten, denen es wirklich schlecht geht, verfallen in eine Art Apathie mit starrem Blick. Man ist regungslos und emotionslos, dieses Gefühl hatte ich. Das ist eine Art Selbstschutz.«

Mit einer Kollegin hat er aufgearbeitet, wie prekär die Situation war. Und mit seinen Stationskollegen sprach er über seine Behandlung, aber da er selbst an den Richtlinien mitgearbeitet hatte, wusste er ohnehin, was geschehen würde. Gleichwohl vermittelte ihm dies das Gefühl, Kontrolle über die eigene Therapie zu haben. Diese war antibiotischer Art, wie sie gegen bakterielle Infektionen verschrieben wird. Dazu kamen Thrombosespritzen, Remdesivir und nach einer Verschlechterung des Zustand Dexamethason. Zudem kam noch eine High-Flow-Sauerstofftherapie: »Das ist eine Form der Beatmung über eine Nasenbrille, bei der mit Druck hohe Dosen an Sauerstoff verabreicht wurden, um meine Sauerstoffsättigung stabil zu halten. Ich war vier Tage auf der Intensivstation und dann nochmals vier Tage auf der Normalstation.«

Man will zwar diese Krankheit nicht, aber sie hat Çelik den Blick für ihre Gefährlichkeit zusätzlich geschärft. Statistiken über nur milde Symptome mögen zwar beruhigen, aber das macht schwere Verläufe nicht weniger real. Die Station in Darmstadt wurde unterdessen erweitert und nicht notwendige Operationen wurden verschoben, denn man geht davon aus, dass die Covidfälle stark zunehmen. Çelik befürwortet die strengen Maßnahmen, die die Bundesregierung erlassen hat, denn man laufe dem Infektionsgeschehen hinterher. Man müsse unbedingt verhindern, dass die Anzahl stationärer Aufnahmen stark zunehme. Der Pneumologe schließt mit dem Dank an das Klinikpersonal, das die Patienten vor dem Schlimmsten zu bewahren versucht.

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Der Pandemieplan Schweiz, in der aktuellen Fassung der Influenza-Pandemieplan Schweiz 2018, ist ein Planungsinstrument, das Strategien und Massnahmen zur Vorbereitung der Schweiz auf eine (Influenza-)Pandemie dokumentiert. Er wird von der Eidgenössischen Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP) und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) herausgegeben.

Der erste Pandemieplan für die Schweiz wurde von einer Arbeitsgruppe unter Leitung von Robert Steffen ausgearbeitet. Die Vorarbeiten wurden 1995 begonnen; der erste schweizerische Influenza-Pandemieplan wurde im Jahr 2004 veröffentlicht. Ein zentrales Anliegen sei laut Steffen dabei gewesen, dem Bund die Führung zu überlassen.

Nach den Erfahrungen in der Bewältigung der Influenza-Pandemie 2009 wurde der Schweizer Pandemieplan vollständig revidiert.

Kristian G. Andersen et al, The proximal origin of SARS-CoV-2, 

(abgerufen am 2.5.2020)