Wissenschaft im Dienst des Klimas

Wissenschaft und Macht II
Über die Erwärmung des Klimas wird schon seit Jahrzehnten geforscht. Und schon seit den Anfängen in den 1960er-Jahren stießen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf den zähen Widerstand aus der Politik – und der Wirtschaftswissenschaft. Ein kurzer Blick zurück.
Rhonegletscher 1868 (ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv)
Rhonegletscher 2019

Der Grund, weshalb das Manhattan-Projekt so erfolgreich war und wissenschaftliche Erkenntnisse unmittelbar in politisches und militärisches Handeln überführt wurden, lag darin, dass sie von den höchsten politischen und militärischen Stellen initiiert, tatkräftig unterstützt und sehnlichst nachgefragt worden war. Ein konkretes Produkt, die Kriegs-entscheidende Superbombe, wurde gefordert. Der Krieg erhöhte die Dringlichkeit auf die oberste Stufe. J. Robert Oppenheimer und seine Gruppe konnten und mussten davon ausgehen, dass ihre Forschung und die daraus hervorgegangenen Ergebnisse, in erster Linie natürlich die Bombe, reale Folgen nach sich ziehen würden. Sie lieferten eine Technologie. Ein weiterer Aspekt dieses »Erfolgs« bestand darin, dass der ganze Prozess in einer zeitlich überblickbaren Spanne abgeschlossen werden konnte. Hingegen war sich Oppenheimer offenbar nicht so bewusst über die Verheerungen, die dermaßen fürchterlich und qualvoll ausfielen, dass er sich ab 1945 mit moralischen Skrupeln herumzuschlagen hatte. 1965 sagte er in einer Fernsehaufzeichnung über seine Empfindungen beim Trinity-Test: »Wir wussten, dass die Welt nicht mehr dieselbe sein würde. Ein paar Leute lachten, ein paar Leute weinten. Die meisten Menschen schwiegen. Ich erinnerte mich an die Zeile aus der Bhagavad Gita der Hindu-Schrift; Vishnu versucht, den Fürsten davon zu überzeugen, dass er seine Pflicht tun soll, und nimmt, um ihn zu beeindrucken, seine mehrarmige Gestalt an und sagt: ‘Jetzt bin ich der Tod geworden, der Zerstörer der Welten’.«

Dass die Leute in den politischen Schaltzentralen auf Forscher und ihre Resultate hörten und dementsprechend handelten, wünschen sich bisweilen auch andere Wissenschaftler.

1965 wurde der renommierte Ozeanologe Roger Revelle vom wissenschaftlichen Beirat des US-amerikanischen Präsidenten Lyndon B. Johnson beauftragt, die Kenntnisse über den Einfluss des Kohlendioxidausstosses für die Erwärmung des Klimas in einem Bericht zusammenzufassen. Revelle war ein ausgewiesener Fachmann und einer der ersten, der über den Einfluss des Kohlendioxids auf das Klima forschte. Der Biochemiker Charles David Keeling hatte eine Apparatur entwickelt, die den Kohlendioxidgehalt in der Luft erfassen konnte. Auf Hawaii hatte er eine automatische Messstation eingerichtet, auf der seit 1958 die CO2-Werte erfasst wurden, sie ist heute noch in Betrieb. Keeling zeichnete aufgrund der Daten eine Kurve, die nach ihm benannt wurde. Die Kurve zeigt stetig nach oben. Ref. Als Ozeanologe konzentrierte sich Revelle auf Forschungen aus seiner Disziplin, und er referierte sowohl eigene Untersuchungen als auch Keelings Erkenntnisse. Revelle war sehr vorsichtig. Er sagte einen Anstieg des Meeresspiegels voraus und er führte aus, dass bei 25 Prozent mehr Kohlendioxid in der Atmosphäre bis ins Jahr 2000 sich der Wärmehaushalt dermaßen verändere, dass eine spürbare Klimaerwärmung auftreten könnte (»could occur«). Zudem dürfte das Eis der Antarktis schmelzen. Der damalige US-Präsident Johnson hatte sich während seiner Präsidentschaft mit diversen Problemen herumzuschlagen, und da kam ihm die beunruhigende Nachricht aus den Geo-Wissenschaften sehr ungelegen. Auch wenn er attestierte, dass seine Generation für den ungebremsten Anstieg des Kohlendioxids hauptverantwortlich ist, ließ er keine politischen Taten hinsichtlich der schon damals diagnostizierten Klimaerwärmung folgen.

Revelles Ergebnisse wurden in der Folge immer genauer überprüft und mit immer besseren und genaueren Methoden im Grundsatz bestätigt (z.B. durch die Jasons Jason-group, Robert M. White, Wallace Broecker). 1974 erschien ein CIA-Bericht, der die neuesten Erkenntnisse aus der Klimaforschung zusammenfasste. Die Behörde interessierte sich nicht so sehr dafür, wohin sich das Thermometer bewegte, aber umso mehr, welche sicherheitspolitischen Gefahren damit verbunden waren. Aus der Weltgeschichte war der CIA der Fakt bekannt, dass es in der sogenannten kleinen Eiszeit zwischen 1350 und 1850 vermehrt zu Dürre- und Hungerperioden sowie Kriegen gekommen war. Dass also markante klimatische Veränderungen zu politischen Verwerfungen führen können. Dem Thema wurde also schon in den 1970er-Jahren in unterschiedlichen Gremien einiges Gewicht beigemessen.

Im Jahre 1979 wurde der nächste ernsthafte Versuch unternommen, mit wissenschaftlichem Wissen politische Entscheidungsträger in der Art zu beeinflussen, dass sie konkrete Maßnahmen gegen die Klimaerwärmung ergreifen würden. Im Auftrag von Jimmy Carters Wissenschaftsberater Frank Press trafen sich unter der Leitung des Meteorologen Jule Charney in einem Sommerhaus einer Akademie an der Küste von Cape Cod zahlreiche Wissenschaftler, die die »Grundprinzipien im Verhältnis von Sonne, Atmosphäre, Land und Meer entdeckt hatten – mit einem Wort: die des Klimas.« Ref. Charneys Ziel war, die Unsicherheiten, die in Revelles und anderen Untersuchungen auftauchten, zu berechnen. Charney wusste, dass der Bericht auf dem Tisch von Präsident Carter landen würde. Sie kamen zu folgendem Schluss: »Wenn man davon ausgeht, dass sich der CO2-Gehalt der Atmosphäre verdoppelt und ein statistisches thermisches Gleichgewicht erreicht wird, sagen die realistischeren Modellierungsbemühungen eine globale Oberflächenerwärmung zwischen 2°C und 3°C voraus, mit stärkeren Zunahmen in hohen Breitengraden. Diese Spanne spiegelt sowohl Unsicherheiten im physikalischen Verständnis als auch Ungenauigkeiten wider, die sich aus der Notwendigkeit ergeben, das mathematische Problem auf eines zu reduzieren, das selbst von den schnellsten verfügbaren elektronischen Computern bewältigt werden kann.« Ref. Im Pliozän hatte sich die Welt das letzte Mal um mehr als drei Grad erwärmt, also vor fast drei Millionen Jahren, der Meeresspiegel lag damals fünfundzwanzig Meter höher als jetzt. Der Mensch erscheint im Holozän, das vor 11’700 Jahren begann. Zudem fügt der Bericht an, dass es keine natürlichen, physikalischen Effekte gibt, die die Klimaerwärmung bremsen oder gar umkehren könnten.

Der Charney-Report war noch nicht veröffentlicht, als das White House Office of Science and Technology die National Academy of Science fragte, ob sie einen Report in Auftrag geben könne, der auch den menschengemachten Einfluss auf den Klimawandel und den Zeithorizont quantifizieren könne. Unter der Leitung des Ökonomen und Spieltheoretikers Thomas Schelling wurde ein zusammenfassender Bericht geschrieben, der nicht wie üblich von den teilnehmenden Kollegen gegengelesen wurde. In der Einleitung von Schelling streicht er die Unsicherheiten, die Widersprüche und die komplexen und kaum durchschaubaren Zusammenhänge bei den Befunden heraus. Mehr Forschung sei nötig, denn »wir glauben, dass wir schneller lernen, als sich das Problem entwickeln kann«. Ref. Es gebe ohnehin keine neuen Klimatypen, es würde sich lediglich die Verteilung der Klimazonen etwas ändern und zwar meist innerhalb jetzt schon bestehender Landesgrenzen, sagt der Ökonom Schelling. Weiter schreibt er, es sei absehbar, dass die fossilen Energieträger immer weniger nachgefragt und zunehmend von alternativen Quellen verdrängt würden. Maßnahmen seien demzufolge nicht zu ergreifen, der freie Markt würde die Probleme regeln. »Je früher wir mit dem Übergang weg von fossilen Brennstoffen beginnen, desto leichter wird der Übergang sein.«Ref. Warum die Nachfrage nach alternativen Quellen steigen soll, bleibt unklar. Diese Argumentationsstrategie wurde zur Kopiervorlage und zur Ur-Bibel der Skeptiker und Leugner der Klimaerwärmung. Einer der beteiligten Forscher widersprach vehement. Der Meteorologe John Perry strich heraus, dass der Klimawandel nicht erst im nächsten Jahrhundert stattfinde, sondern schon jetzt. Wenn man zulange warte, um Maßnahmen zu ergreifen, sei man vermutlich zu spät.

Der US-amerikanische Kongress verlangte ob dieser Ungereimtheiten einen weiteren Report und beauftragte erneut die National Academy of Science damit. Unter Federführung von Bill Nierenberg wurde im Laufe des Jahres 1980 versucht, die unterdessen zahlreichen Studien und Resultate in einem Bericht zu bündeln. Entgegen dem üblichen Verfahren, die bei solchen Gesamtschauen angewendet wird, konnte man sich nicht auf einen einzigen Schlusstext einigen. Die Auffassungen waren so unterschiedlich, dass man sie nicht unter einen Hut bekommen konnte, und so teilte man den Report in zwei Teile auf. So gab es einen Bericht mit fünf Kapiteln, verfasst von Naturwissenschaftlern, und einen mit zwei Kapiteln, verfasst von Ökonomen. Revelle beispielsweise wiederholte seine Aussagen zum Anstieg des Meeresspiegels, die nun aber auf besseren Daten und Methoden beruhten. Er warnte ausdrücklich vor den fatalen Auswirkungen auf die Menschen und die Wirtschaft in den Küstenregionen. Falls die Temperatur bis Mitte des 21. Jahrhunderts um 2°C oder mehr anstieg, könnte sich der Meeresspiegel bis 80 Zentimeter erhöhen, prognostizierte er. Einige Naturwissenschaftler wiesen erneut auf noch fehlende Details hin, die durch weitere Forschung untersucht werden müssen, um die Theorie der Erwärmung wasserdicht zu machen. Gerade auf diesen Fakt wiesen erneut die Wirtschaftswissenschaftler hin. Vieles sei noch unbekannt, aber es sei schon so, dass enorme Kosten entstünden, wenn der Ausstoss von Kohledioxid weiter zunehme. Sie schlugen markante Steuererhöhungen auf den Verbrauch von fossilen Kraftstoffen vor. Dabei seien aber gesellschaftliche Nebeneffekte zu berücksichtigen, namentlich für die Küstenregionen, die Landwirtschaft, die Gesundheit. Die Autoren merkten an, dass höhere Abgaben kaum durchzusetzen seien. Aber auch andere Schadstoffe müssten noch genauer in die Berechnungen einfließen. Also lieber nichts machen, als jetzt überstürzt handeln, war das Fazit. Und genau so geschah es auch.

Ein Naturwissenschaftler der Jasons wurde einmal gefragt: »Wenn Sie nach Washington gehen und den Politikern sagen, dass sich der Anteil des Kohlenstoffdioxids in den nächsten fünfzig Jahren verdoppelt und dies große Auswirkungen auf den Planeten haben wird, was entgegnen die Politiker dann?« Der Wissenschaftler antwortete: »Sie bitten mich, in neunundvierzig Jahren wiederzukommen.«Ref.

Mit dem schon fast unverwüstlichen James E. Hansen, Leiter des Goddard Institute of Space Studies der NASA, tritt ab 1981 ein Wissenschaftler auf den Plan, der in den kommenden Jahrzehnten die Forschung über die Klimaerwärmung prägen und unverdrossen vorantreiben wird.

Auch dank der Initiative von Ronald Reagan erlebte die Klimaforschung einen Internationalisierungsschub, was dem Präsidenten recht war, verschob sich doch der Handlungsdruck auf eine höhere politische Ebene. Das war in der Sache richtig, betrifft der Klimawandel doch den ganzen Globus, doch für die Chancen der Durchsetzung griffiger Maßnahmen war es ein Rückschritt. Die Bestrebungen gipfelten 1988 in der Gründung des Intergovernmental Panel on Climate Change unter dem Dach der UNO. Der IPCC fasst nicht nur die internationale Forschung zusammen, sondern er liefert den Politikern auch wissenschaftlich basierte Grundlagen zur Entscheidungsfindung: »Der IPCC bietet Grundlagen für wissenschaftsbasierte Entscheidungen, ohne jedoch konkrete Lösungswege vorzuschlagen oder politische Handlungsempfehlungen zu geben.« Ref. Obwohl innerhalb der Forschergemeinschaft eine große Einigkeit bezüglich der Tatsache besteht, dass eine Klimaerwärmung stattfindet, ist der Einfluss der Resultate auf die reale Politik bisher, gemessen an der Verschärfung des Problems, gering.

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Die Jason Defense Advisory Group umfasst eine Gruppe führender Wissenschaftler, die für die Regierung Ratschläge formuliert, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. In dieser Gruppe, die seit den späten 1950er-Jahren existiert, war die durch Kohlenstoffdioxid ausgelöste Klimaerwärmung in den 1970er-Jahren ein wichtiges Thema.

IPCC-Flyer der deutschen Koordinierungsstelle: Der Weltklimarat IPCC. Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen 2018

Ebd., S. 173

Ebd.

Naomi Oreskes/Erik M. Conway, Merchants of Doubt. London/Berlin/New York/Sydney, S. 175

Report of an Ad Hoc Study Group: Carbon Dioxide and Climate: A Scientific Assessment, Wood Hole, 1979, S. 2

Nathaniel Rich, Losing Earth, Berlin 2019, S. 47

Virus

Vgl. hierzu auch die vierteilige Reihe: Arian Bastani, Geschichte des Klimawandel, Republik, ab 4.12.2018

Der Pandemieplan Schweiz, in der aktuellen Fassung der Influenza-Pandemieplan Schweiz 2018, ist ein Planungsinstrument, das Strategien und Massnahmen zur Vorbereitung der Schweiz auf eine (Influenza-)Pandemie dokumentiert. Er wird von der Eidgenössischen Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP) und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) herausgegeben.

Der erste Pandemieplan für die Schweiz wurde von einer Arbeitsgruppe unter Leitung von Robert Steffen ausgearbeitet. Die Vorarbeiten wurden 1995 begonnen; der erste schweizerische Influenza-Pandemieplan wurde im Jahr 2004 veröffentlicht. Ein zentrales Anliegen sei laut Steffen dabei gewesen, dem Bund die Führung zu überlassen.

Nach den Erfahrungen in der Bewältigung der Influenza-Pandemie 2009 wurde der Schweizer Pandemieplan vollständig revidiert.

Kristian G. Andersen et al, The proximal origin of SARS-CoV-2, 

(abgerufen am 2.5.2020)

Vgl. hierzu auch die vierteilige Reihe: Arian Bastani, Geschichte des Klimawandel, Republik, ab 4.12.2018