Steiner & Schmid IV: Über Bärfuss

Steiner ist konsterniert
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Steiner und Schmid reden über Lukas Bärfuss› Spiegel-Artikel.
Steiner und Schmid reden nicht über Hirschhorn in Biel (2019)...

Schmid hat den Artikel von Lukas Bärfuss  im Spiegel vom 24. März 2020 zum Coronavirus in der Schweiz gelesen. Darin steht unter anderem: »Die Lage sei ernst, meinte sie (Bundespräsidentin Sommaruga, a.s.) anlässlich der Pressekonferenz, an der sie doch noch den nationalen Notstand ausrief. Wie ernst, das ermaß sich an ihrer dringenden und unerhörten Aufforderung, für einmal auf den Ausflug mit der Wandergruppe und auf den Jass-Abend (Schmierinfektion) dem Schweizer Äquivalent zur Skatrunde, zu verzichten. Das sei schmerzhaft, meinte die Landesherrin mit Nachdruck und Verständnis, aber leider unvermeidlich… Man fühlt sich nach wie vor vorbereitet. Schließlich hat die Schweiz das zweitteuerste Gesundheitssystem der Welt, seltsamerweise aber trotzdem bloß etwas mehr als tausend Intensivpflegebetten. Und in einem Land, von dem es heißt, die wahre Macht liege nicht bei der Politik, sondern bei der Wirtschaft und dort vor allem bei der pharmazeutischen Industrie… Es wird wahrscheinlich unnötig viele Tote geben, und die meisten werden nicht an einem Virus aus China sterben, ersticken werden sie an der helvetischen Ausprägung der menschlichen Dummheit, an jener Krankheit, die hier auch in besseren Zeiten grassiert, am allgegenwärtigen Geiz nämlich… Was den Schweizer nachhaltiger und tiefer ängstigt, ist der drohende wirtschaftliche Abstieg… Nein, das Kapital hat nichts zu befürchten (Yves Wegelin). Dieses Virus wird zwar mit einigen Gewissheiten aufräumen. Das weltweite Privateigentum allerdings wird, so viel ist sicher, hierzulande auch in Zukunft Asyl finden.«

Steiner: Ich bin konsterniert.

Schmid: Wegen mir?

Steiner: Nicht doch. Die Öffnung kommt zu früh. Wenn das nur nicht schief geht.

Schmid: Aber Hobbyepidemiologe Steiner, Du hattest doch Vertrauen.

Steiner: Betonung auf »hattest«. Die Fraktion jener, die sich nicht bewusst sind, dass sie nicht wissen, dass sie nicht wissen, hat obsiegt. Dabei sind sie Schisshasen. Wahrscheinlich zwei der vier Bundesräte, die die panische Öffnung vorangetrieben haben, haben gekniffen und sind nicht vor den Medien erschienen. Verantwortung übernehmen sieht anders aus, dabei sprechen diese Kreise immer von Eigenverantwortung. Die Regierung fällt auseinander.

Schmid: So überraschend ist das nicht. Es war doch klar, wer gewinnt. Schon die Verordnung mit den Nothilfen war entlarvend. Letztlich geht es immer um die Verteilung von Kohle, also die Umverteilung von unten nach oben.

Steiner: Ich dachte, es geht um Gesundheit.

Schmid: Sei doch nicht so naiv, Steiner. Du weißt doch, wie es läuft. Mit dem Stillstand wollte man nicht nur die Leute schützen, sondern die Wirtschaft. Das sagten sogar die Epidemiologen. Man müsse eine zweite Welle verhindern, denn diese würde die Wirtschaft nur sehr schlecht verkraften. Der Berset hat seine Arbeit getan, der Berset kann gehen. Hast Du den Spiegel-Artikel von Bärfuss über die Schweiz und Corona gelesen?

Steiner: Ja, leider.

Schmid: Wieso leider? Er hat recht.

Steiner: Nein, hat er nicht. Also, er hat ein bisschen recht, aber nicht so, wie er argumentiert hat.

Schmid: Er hat geschrieben, das Kapital habe nichts zu befürchten. Zudem hat er noch hinzugefügt, dass die wahre Macht bei der Wirtschaft liege. Letztlich geht es wie immer um sie. Was ist daran falsch?

Steiner: Zu plakativ und zu konspirativ getüncht. Mir geht es bei vielen Bärfuss-Texten immer wieder ähnlich. Eigentlich mag ich seinen Furor und ich möchte ihm noch so gerne zustimmen, aber ich kann es nicht.

Schmid: Wenn man gehört werden will, muss man den Lautsprecher hervornehmen.

Steiner: Darum geht es nicht. Wenn einer eine Standpauke hält und man ist geneigt, ihm beizupflichten, weil man ähnliche Ansichten vertritt, aber nicht beipflichten kann, weil es zu viele Ungereimtheiten in der Argumentation gibt oder man das Gefühl hat, es sei zu wenig durchdacht, wird es schwierig.

Schmid: Die Nothilfen, die gesprochen wurden, hatten nur eines im Sinn: Die Reichen und Gutverdienenden zu schützen.

Steiner: Hör doch auf mit Deinem verschwörungstheoretisch gefärbten Brachialsozialismus. So landest Du noch bei den Gates.

Schmid: Keinesfalls. Aber bleiben wir bei unseren Superreichen, die Dividendenjäger und Immohaie müssen nichts befürchten.

Steiner: So wahnsinnig viele Dividenden-Firmen gibt’s nicht mehr. Darauf zahlt man Steuern. Heutzutage kaufen Firmen lieber eigene Aktien zurück, ist effizienter und steuerfrei. Das ist doch die Krux der jetzigen Situation, es gibt keine Rücklagen und Lager in den Firmen, kein Fett. Die betriebsökonomische Fitnesswelle ist pandemisch. Nirgendwo Reserven für Diät. Dafür maximale Abhängigkeit von funktionierenden Lieferketten. Das ist gefährlich. Wenn solche Unternehmen nun Kurzarbeit anmelden, haben wir Pech gehabt.

Schmid: Eben. Aber erklär’ mir bitte Dein Problem mit Bärfuss.

Steiner: Es fehlen die handfesten Begründungen für sein Urteil. Er baut darauf, dass jeder weiß, was er meint. Er rechnet mit den Vorurteilen der Leser. Er will bestätigen und nicht aufklären. Liegt etwa die wahre Macht, wie er das wörtlich schreibt, wirklich bei der pharmazeutischen Industrie?

Schmid: Sie ist ohne Frage einflussreich, die Lobby ist mächtig.

Steiner: Du verstehst nicht, was ich meine. Die Herleitung fehlt. Im Text gibt es keinen Beweis und keinen Hinweis darauf. Er müsste doch darlegen, welche Lobby mit welchen Inhalten und welchem finanziellen Aufwand welche Politiker zu beeinflussen versucht. Er bleibt im Ungefähren und im Andeuten. Also bleibt die Aussage für mich, auch wenn sie zuträfe, eine blosse Unterstellung. Wer lediglich behauptet, dem vertraue ich nicht. Und dann sagt er, das Kapital habe nichts zu befürchten und das weltweite Privateigentum werde hier ein sicheres Asyl haben. Eine schmissige Parole, aber stimmt sie auch?

Schmid: Auch da bin ich mit ihm einig. Die Schweiz steht auf Platz drei der Rangliste von Steueroasen. Schau doch, wie die Nothilfen tatsächlich verteilt worden sind. Die Konzerne, die Banken, die Immobranche und die Aktionäre werden überproportional geschützt, ein Drittel nur geht an die unteren Schichten, die es wirklich nötig hätten. Und was erhalten eigentlich die Kulturschaffenden? Man kann Bärfuss sogar dafür rühmen, dass er darauf aufmerksam machte, bevor man es genauer wusste.

Steiner: Weil Du ihm zustimmen willst. Offenbar fragst Du Dich nicht, ob die wahre Macht nun bei der pharmazeutischen Industrie liegt oder bei den Banken.

Schmid: Die Macht liegt beim Kapital, also bei beiden.

Steiner: Kannst Du nicht differenzieren? Die Banken haben schnell reagiert. Bis jetzt haben über 120’000 Betriebe Kredite bekommen. Relativ unbürokratisch und pragmatisch. In Italien warten die kleinen Firmen nach wie vor auf erste Gelder, Selbständige haben sechshundert Euro gekriegt. Dasselbe gilt für Großbritannien und die USA. Für einmal zeigen alle auf die Schweizer Banken und sagen, so müsste man das machen. Ich würde sogar sagen, die Geldhäuser tun jetzt genau das, was sie tun müssen. Es funktioniert.

Schmid: Geldhäuser sind keine Samariter. Dank der Negativzinsen verdienen sie was dazu. Es ist komplett risikolos, nicht so wie bei den dämlichen Investitionen in Fracking. Die Notenbank bürgt.

Steiner: Stimmt nicht mein Lieber. Der Nettogewinn der Banken soll in eine Stiftung notleidender Firmen einbezahlt werden.

Schmid: Wer’s glaubt, wird selig.

Steiner: Ich weiß es aber. Soll denn der Staat die Abermilliarden zahlen, die er nicht hat? Du weißt offenbar nicht, dass Du gewisse Dinge nicht weißt.

Schmid: Und Du ignorierst offenbar grundsätzlich gewisse Dinge und glaubst jeden Bullshit, den die Regierung von sich gibt. Das System handelt immer so, dass es überlebt.

Steiner: Geschenkt. Und dann sagt Bärfuss noch, es werden viele Menschen unnötig sterben, weil die helvetische Ausprägung einer menschlichen Dummheit, der Geiz nämlich, dazu geführt hat, dass eines der teuersten Gesundheitssysteme nicht auf die Folgen einer Pandemie vorbereitet ist.

Schmid: Tja mein Lieber, auch da liegt er richtig. Jetzt kannst Du seine Bedenken gut kritisieren, aber als er das geschrieben hatte, folgte die Schweiz noch dem Muster der Entwicklung in Italien. Wenn es so weitergegangen wäre, wäre unser Gesundheitssystem an die Grenzen gestossen. Das sagen auch Epidemiologen und Gesundheitsökonomen. Und du weißt, was in jenen Ländern passiert, deren Intensivstationen überlastet oder praktisch inexistent sind. Triage. Wenn das Sozial- und Gesundheitswesen ausfällt, bist Du am Arsch.

Steiner: Jetzt sprichst Du schon fast wie der Blackrock-Manager und ehemalige Notenbankpräsident.

Schmid: Hä?

Steiner: Der sagte auch, dass wir froh sein können, haben wir ein solides soziales Netz und einen gut funktionierenden Sozialstaat. Und dass man jetzt sehe, wie die einseitige Ausrichtung auf den Kapitalmarkt und die kurzfristige Gewinnmaximierung in angelsächsischen Ländern zum Problem geworden ist.

Schmid: Nicht schlecht für einen Banker. Also doch Geiz.

Steiner: Wieso gerade Geiz?

Schmid: Eben, weil wir gegeizt haben, obwohl wir reich genug sind und uns das leisten könnten, haben wir es unterlassen, einer Pandemie vorzubeugen.

Steiner: Geiz ist doch der Ausdruck dafür, dass man von dem, was man hat, nichts hergibt. Sicher nicht dem Staat, auch nicht für dessen Gesundheitssystem. Einverstanden. Aber meint Bärfuss statt Geiz nicht etwa anderes? Vielleicht Habgier? Der Geiz oder das Nicht-Ausgeben-Wollen ist doch eine Folge der Habsucht. Ist die Logik nicht eher die, dass wir zuerst immer mehr wollen und wenn wir es dann haben, wollen wir es nicht mehr hergeben? Wir sind getrieben. Der Geiz ist das Resultat der Habsucht…

Schmid: Geiz, Habsucht und Habgier gehören alle zur gleichen Todsünde, zur Avaritia.

Steiner: Ich wusste schon immer, dass Du nicht nur ein Marxist bist, sondern auch ein verkappter Religionstheoretiker.

Schmid: Die Unterschiede sind marginal.

Steiner: Du hattest mich unterbrochen. Ich erinnere Dich an Deine Bierexegese. Der Speedsüchtige ist permanent im Rausch, er kommt kaum weg vom Stoff, sein Leben wird beherrscht vom Highsein. Wenn man schon die Todsünden ins Spiel bringt, könnte man zumindest abwägen, ob wir, bevor wir uns auf Avaritia festlegen, nicht zuerst noch Genusssucht und Maßlosigkeit – sorry, für Dich Luxuria und Gula – prüfen müssten. Es ist ja nicht so, dass die Leute explizit Akutbetten und das Schutzmaterial nicht wollen, es ist ihnen gar nicht bewusst, dass wir diese vielleicht benötigen und dass wir ungenügend vorbereitet waren. Erst kommen die Maßlosigkeit und die Genusssucht und diese vernebeln die Sicht auf das Notwendige. Und sie haben es vergessen, weil sie süchtig nach mehr sind und daher nicht wissen, dass sie nicht wissen.

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Virus

Der Pandemieplan Schweiz, in der aktuellen Fassung der Influenza-Pandemieplan Schweiz 2018, ist ein Planungsinstrument, das Strategien und Massnahmen zur Vorbereitung der Schweiz auf eine (Influenza-)Pandemie dokumentiert. Er wird von der Eidgenössischen Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP) und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) herausgegeben.

Der erste Pandemieplan für die Schweiz wurde von einer Arbeitsgruppe unter Leitung von Robert Steffen ausgearbeitet. Die Vorarbeiten wurden 1995 begonnen; der erste schweizerische Influenza-Pandemieplan wurde im Jahr 2004 veröffentlicht. Ein zentrales Anliegen sei laut Steffen dabei gewesen, dem Bund die Führung zu überlassen.

Nach den Erfahrungen in der Bewältigung der Influenza-Pandemie 2009 wurde der Schweizer Pandemieplan vollständig revidiert.

Kristian G. Andersen et al, The proximal origin of SARS-CoV-2, 

(abgerufen am 2.5.2020)