Steiner & Schmid I: Bierexegese

Dialog über den Kapitalismus
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Steiner & Schmid palavern über das Trinken, die Kirche und den Kapitalismus.

Bierexegese

Schmid: »Wir denken immer noch in alten Kategorien, magischen Mustern sozusagen, vorrationalen, quasireligiösen. Wir glauben, unser Handeln folge den Regeln eines übermächtigen Naturgesetzes, die wir nicht zu beeinflussen in der Lage sind, beispielsweise der berühmt-berüchtigten unsichtbaren Hand des Marktes. Dafür haben wir ultramoderne Formen gefunden. Schau dir nur den Finanzkapitalismus an. Ich erklär es dir am Beispiel des Biertrinkens. Dass Du ein Bier saufen kannst, ist schön und gut, oder? Du fühlst dich aber wohler, wenn du mehr als ein Bier saufen kannst. Das klassische Besaufen mit Bier wird von den meisten Leuten akzeptiert, es gehört zu unserem Zusammenleben, es kittet uns zusammen, wir reden miteinander, wir tauschen uns dabei aus. So wie jetzt.«

Steiner: »Also von Austausch kann keine Rede sein, das hier ist eine Einbahnstraße.«

Schmid: »Wir können dem Bier einen Kräuterschnaps beimischen, wir sind noch etwas betrunkener, wir haben es lustiger. Dieser Rausch wird immer noch von Produkten der guten alten Alkoholindustrie ausgelöst, wo herkömmliche Naturrohstoffe wie Hopfen, Malz, Weizen et cetera verarbeitet werden. Einverstanden?«

Steiner nickt müde.

»Jetzt werden seit ein paar Jahren neuartige, von herkömmlichen Rohstoffen unabhängige Drogen zusammengemixt und konsumiert, Rauschmittel wie Speed, Ecstasy, Crystal Meth und wie sie alle heißen. Die Wirkung von Speed ist nicht mehr die altbekannte, alkoholische Betrunkenheit, der Alkoholrausch, der Suff. Speed macht euphorisch und die Dealer versprechen den Himmel auf Erden. Speed bewirkt einen enormen Rauschgewinn, man braucht weniger oder gar keinen Alkohol mehr, aber man ist dennoch high und man fühlt sich wie im Paradies. Was will man mehr?«

Ja, was will man mehr, fragte sich Steiner, blieb aber stumm.

Schmid: »Das Wesentliche dabei ist: Die neuen Rauschmittel kommen ohne Hopfen, Malz oder Weizen, die Seele des Bieres, aus, die herkömmlichen Rohstoffe braucht’s nicht mehr. Der neuartige Rausch ist unabhängig von Alkohol, ist ein alkoholloser Mammon, künstlich, chemisch, sozusagen substanzlos. Und dieser seelenlose Mammon wird mit Glücksverheißungen, mit dem Seelenheil gleichgesetzt. So einfach ist das. Warum, glaubst du, gibt es Religionen, die die Logik des Alkoholrausches nicht akzeptieren? Hm?«

Steiner: (Schweigen)

Schmid: »Genau, der Rausch ist Gift für das Religiöse, er verdrängt das echte Seelenheil. Nur nüchtern können wir dieses erlangen. Nicht so bei uns. Der Suff wird zu einem Ersatz für die Verheißungen der Pfaffen. Wenn unsere obersten Kirchenfritzen konsequent wären, würden sie den Alkohol verbieten, das stimmt, denn der Suff hindert uns dabei, das wahre Seelenheil zu erlangen. Das gilt auch für die Pfaffen.«

Steiner: »Es wird ja sogar in der Kirche Wein getrunken. Erklär mir das mal.«

Schmid: »Das ist eben diese Bigotterie. Gehen wir einen Schritt zurück: Es heißt, die gläubigen Christen hofften auf Entsühnung. Wenn du richtig lebst und deinen religiösen Pflichten nachkommst, wirst du befreit von der Sünde. So zumindest verkünden es die Pfaffen. Aber das Biertrinken ist erlaubt, und das beste Bier kam lange aus den Klöstern und das Weintrinken gehört zu einem kirchlichen Ritus (Kardinal). Das ist der Ursprung der Bigotterie. Und heutzutage kannst du dich hinterher mit Alka-Seltzer oder mit Rollmöpsen entsühnen. Aber warte nur, in ein paar Jahren wird dir beim Abendmahl eine Tablette Ecstasy verabreicht. Hast du‘s kapiert? Der Christ trinkt Bier in Maßen, und wenn er einen schweren Stein kriegt, hört er auf zu saufen und nimmt ein Absolutions-Alka-Seltzer und es geht ihm wieder besser, auch geistig. Der Alkoholiker trinkt ein paar Biere mehr, weil er glaubt, mehr Bierkonsum ersetze ihm das Alka-Seltzer und mehr Bier sei die beste Therapie gegen Besoffenheit. Bei ihm wird die Entsühnung schon schwieriger. Der Speedsüchtige hingegen ist permanent im Rausch, er kommt kaum weg vom Stoff, sein Leben wird beherrscht vom Highsein. Um sein Seelenheil braucht er sich definitiv keine Sorgen mehr zu machen, das ist eh im Eimer, obwohl er meint, er habe es im permanenten Rausch erreicht. Und das ist die große Lüge oder Selbstlüge. Jegliches Alka-Seltzer oder Rollmöpschen ist für die Katz. Sie sind Abgefallene, sie leben in einer Scheinwelt, oder nein, in einer substanzlosen Parallelwelt. Aber wir alle zahlen für die Schäden, die sie anrichten.«

Nach einer kurzen Verschnauf- und Trinkpause referierte Schmid unaufgefordert weiter: »Und genauso ist das mit dem Finanzkapitalismus. Der Geldrausch ist nicht mehr abhängig von der Verarbeitung von Rohstoffen wie im Industriekapitalismus. Im Derivatsgeschäft ist alles Stoffliche Tand und Talmi. Es wird eine eigene Sphäre geschaffen, zu der die meisten keinen Zugang haben. Und ihr kriegt nicht mal Almosen. Schlimmer noch, wir zahlen für die Fehler und Vergehen der Geldsäcke. Die Finanzhaie sind im Spätkapitalismus die Ausbeuter.«

Schmid starrte in sein schnell ausgetrunkenes Bierglas.

Aus: Adrian Stokar, Einstürzende Gewissheiten, Dörlemann Zürich, 2016

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Der Pandemieplan Schweiz, in der aktuellen Fassung der Influenza-Pandemieplan Schweiz 2018, ist ein Planungsinstrument, das Strategien und Massnahmen zur Vorbereitung der Schweiz auf eine (Influenza-)Pandemie dokumentiert. Er wird von der Eidgenössischen Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP) und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) herausgegeben.

Der erste Pandemieplan für die Schweiz wurde von einer Arbeitsgruppe unter Leitung von Robert Steffen ausgearbeitet. Die Vorarbeiten wurden 1995 begonnen; der erste schweizerische Influenza-Pandemieplan wurde im Jahr 2004 veröffentlicht. Ein zentrales Anliegen sei laut Steffen dabei gewesen, dem Bund die Führung zu überlassen.

Nach den Erfahrungen in der Bewältigung der Influenza-Pandemie 2009 wurde der Schweizer Pandemieplan vollständig revidiert.

Kristian G. Andersen et al, The proximal origin of SARS-CoV-2, 

(abgerufen am 2.5.2020)