Der wirtschaftliche Nutzen eines Lockdowns

Erfüllen– ökonomisch gesehen – Lockdowns ihren Zweck?
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Experten des Internationalen Währungsfonds (IWF) haben nachgerechnet und kommen zum Schluss, dass Lockdowns das beste Mittel seien, um Pandemien zu begegnen, schrieb die SZ am 9. Oktober 2020. Warum diese wirtschaftliche Studie offenbar in der Schweiz auch drei Wochen später nicht wahrgenommen wird, bleibt rätselhaft.
Niemand zuhause?

Am 28. Oktober 2020 wird die Schweizer Regierung neue Maßnahmen ergreifen, um die beunruhigend stark ansteigenden Infektions-, Hospitalisierungs-, Intensivbehandlungs- und Sterbezahlen zu bremsen. In den Augen vieler medizinischer Fachkräfte unterschiedlicher Provenienz kommen diese Einschränkungen zu spät. Was meinen aber jene Ökonomen, die sich im Gegensatz zu den Kantonsregierungen unbeeinflusst vom Gewerbe- und Gastroverband bewegen?

Zahlreiche Politiker und Vertreter aus der Wirtschaft –die Letztere wird fraglos arg gebeutelt – argumentieren immer wieder damit, dass man nicht die ganze Wirtschaft herunterfahren könne, ohne in eine Rezession laufen. Also müsse man eben dafür sorgen, Leben, Gesundheitsversorgung und Arbeit gleichzeitig zu retten. Wie geht das am besten? Laut der Studie des IWF stimmt nur ein Aspekt an dieser Feststellung: ja, es gibt eine Rezession, wenn man einen Lockdown verhängt. Das ist für jeden einzelnen betroffenen Betrieb, Arbeitgeberin, Arbeitnehmer, Selbständigen, Kulturschaffende tragisch. Der Umkehrschluss, dass es ohne oder mit nur einem sanften Lockdown – eher: Shutdown – wirtschaftlich besser ginge, trifft aber nicht zu. Die Rezession träte auch ein. Die Lage würde sich nicht zwingend entspannen. Es handelt sich nicht um einen »Zielkonflikt zwischen Rettung von Leben und der Stützung der Wirtschaft«, sondern man muss langfristig eine Balance zwischen Gesundheit und ökonomischer Entwicklung finden.

Aufgrund der Analyse von Bewegungsdaten, Stellenangeboten und Infektionszahlen kommen die Experten des IWF – fürwahr kein sozialistischer Debattierclub – zum Schluss, dass im Frühjahr 2020 nicht allein der staatlich verordnete Lockdown die Leute dazu bewog, sich weniger zu bewegen, sondern die Angst vor einer Ansteckung. Der freiwillige Verzicht auf Mobilität und Konsum zusammen mit den beschlossenen Maßnahmen haben dazu geführt, dass die Wirtschaftsleistung abgeflacht ist. Das zeigte sich auch, als die Lockerungen beschlossen wurden. Die erwünschten ökonomischen Effekte sind in jenen Ländern, die noch relativ hohe Infektionszahlen aufgewiesen haben, nicht sofort eingetreten. Die Leute verhielten sich vorsichtig, konsumierten und bewegten sich nicht im sonst üblichen Rahmen. Der IWF schreibt: »Den Gesundheitsrisiken zu begegnen, ist offensichtlich eine Vorbedingung für eine starke und nachhaltige Entwicklung.«

Neben den von den Menschen selbstverordneten Einschränkungen sei es aber auch wirtschaftlich richtig und vernünftig, Produktions-, Verkaufs- und Ausgangsbeschränkungen zu erlassen, wenn damit die Neuansteckungen markant gesenkt werden können. Der IWF schreibt weiter: »Strenge, zeitlich eng befristete Lockdowns bewirken offenbar mehr als milde, langwierige Maßnahmen.« Einige Länder in Ostasien und Ozeanien haben es vorgemacht. Wenn Staaten schnell handeln, also nicht so, wie zurzeit die Schweiz, könne man den Prozess und die Dauer der freiwilligen Distanzierung beschleunigen. Das heißt, es geht schneller, bis sich die Leute sicher genug fühlen, um sich wieder im üblichen Rahmen zu bewegen und am öffentlichen, wirtschaftlichen, sozialen, sportlichen und kulturellen Leben zu beteiligen. Ein entschlossenes staatliches Handeln ist grundsätzlich richtig. »Die positiven Effekte … könnten mittelfristig die Kosten eines Lockdowns mehr als wettmachen.«

Weshalb also wird überall darauf beharrt, dass ein zweiter Lockdown unbedingt vermieden werden muss? Lieber kurz und heftig als lang und mäßig, heißt die Devise des IWF.

Man kennt es von der Grippe: Wenn man sich dagegen strebt, das Bett zu hüten – es gibt ja immer noch so viel zu erledigen – und zu früh meint, den Aktivitäts-Thermostat wieder auf die übliche Betriebstemperatur stellen zu müssen – man muss ja noch so viel nachholen –, wird man noch lange mit den Spätfolgen zu kämpfen haben.

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Virus

Der Pandemieplan Schweiz, in der aktuellen Fassung der Influenza-Pandemieplan Schweiz 2018, ist ein Planungsinstrument, das Strategien und Massnahmen zur Vorbereitung der Schweiz auf eine (Influenza-)Pandemie dokumentiert. Er wird von der Eidgenössischen Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP) und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) herausgegeben.

Der erste Pandemieplan für die Schweiz wurde von einer Arbeitsgruppe unter Leitung von Robert Steffen ausgearbeitet. Die Vorarbeiten wurden 1995 begonnen; der erste schweizerische Influenza-Pandemieplan wurde im Jahr 2004 veröffentlicht. Ein zentrales Anliegen sei laut Steffen dabei gewesen, dem Bund die Führung zu überlassen.

Nach den Erfahrungen in der Bewältigung der Influenza-Pandemie 2009 wurde der Schweizer Pandemieplan vollständig revidiert.

Kristian G. Andersen et al, The proximal origin of SARS-CoV-2, 

(abgerufen am 2.5.2020)