Der Mensch verschwindet im Anthropozän I: Der Anfang

Begann das Anthropozän mit J. Robert Oppenheimer und seinem Team, als sie die erste Atombombe zündeten?
Die Diskussionen, wann nun das neue Erdzeitalter – das Anthropozän – begonnen hat, sind noch nicht abgeschlossen. Wenn es nach der Geowissenschaft geht, die gerne in die Tiefen der Erdschichten hinuntersteigt, wäre es der 16. Juli 1945, dem Tag des Trinity-Tests in den White Sands. Nach diesem Datum entbrannte ein Streit, der die Atomwissenschaftler entzweite. Warum?
Die Geowissenschaft steigt gerne in die Tiefen der Erdschichten. U-Bahn-Eingang von Martin Kippenberger im Engadin (Foto: Thomas Burla)
Trinity-Test am 16. Juli 1945, 0,025 Sekunden nach der Zündung (Bild: Science Source)

»Jetzt bin ich der Tod geworden, der Zerstörer der Welten«, soll, wie bereits zitiert, J. Robert Oppenheimer gesagt haben, als er aus dem Bunker stürmte, von dem aus er die Detonation der ersten Atombombe in der Wüste der White Sands beobachtet hatte. War das der Beginn eines neuen Zeitalters? Einige Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sagen ja. In unterschiedlichen Disziplinen wird darüber diskutiert, wann genau die neue Ära, die Anthropozän getauft wurde, angefangen haben soll.

Je nach Fokus der Gewichtungen stehen unterschiedliche Zeitpunkte im Raum. War vor 12‘000 Jahren die Erfindung der Landwirtschaft (Timothy Morton) und den damit verbundenen steigenden Methanemissionen der Auslöser? Oder der einsetzende Welthandel in der Renaissance? Die Industrielle Revolution im 19. Jahrhundert? Die Wirtschaftswunderzeit nach dem Zweiten Weltkrieg und die Beschleunigung des Klimawandels (Josef H. Reichholf)? Nimmt man die geowissenschaftlichen Kategorien als Maßstab, nach denen ursprünglich die Erdgeschichte eingeteilt wurde, ist die Zusammensetzung des Bodens entscheidend. In dieser Systematik erscheint das Holozän als jene Epoche des Quartärs, Quartär die dem Pleistozän folgte. Das Anthropozän folgte dem Holozän (In eigener Sache) und würde demnach als jenes Zeitalter bezeichnet, ab dem von Menschen erzeugte Stoffe wie Plastik, Beton oder auch radioaktive Ablagerungen aus Kernwaffenzündungen wie Plutoniumisotope als eigene Sedimentschicht in der Erdkruste nachgewiesen werden können. So wäre die Geburtsstunde nach Mitte 1945 zu datieren, als die Kernwaffenzündungen begonnen hatten.

Einfachheitshalber, sagen daher viele Wissenschaftler, würde der 16. Juli 1945 als Datum gut passen. Passend auch die Aussage Oppenheimers: »Wir wussten, dass die Welt nicht mehr dieselbe sein würde.« Offenbar war sich der äußerst gut gebildete Oppenheimer Bildung bewusst, dass das, was sie soeben geschaffen hatten, viel mehr war, als sie sich vorgestellt hatten. Auch der Kriegsminister Henry L. Stimson bemerkte ja schon 1945, dass »eine revolutionäre Veränderung des Verhältnisses zwischen den Menschen und dem Universum« stattfinden könnte (Wissenschaft und Macht I). Insofern ist die Wahl der Zündung der ersten Atombombe gar nicht so falsch. Weitere Eigenschaften, die nicht mehr streng erdgeschichtlich definiert sind, haben sich unterdessen hinzugesellt: Artensterben, Klimaerwärmung, Ausbeutung natürlicher Ressourcen etc.

Kehren wir noch einmal kurz zu Oppenheimer zurück. Nach dem Krieg wurde der »Vater der Atombombe«, wie er zu seinem großen Missfallen genannt wurde, verschiedentlich geehrt und er übernahm den Vorsitz des fachwissenschaftlich zusammengesetzten Beratergremiums der US-amerikanischen Atomenergiebehörde, die ihrerseits den Präsidenten in Atomfragen beriet. Oppenheimer blieb seiner Überzeugung treu, dass die Atombombe kein sehr hilfreiches Mittel sei, um den Frieden zu bewahren. Die Erforschung der Atomphysik zur zivilen Gewinnung von Energie stand er hingegen nicht im Wege.

Zum Forscherteam in Los Alamos gehörte schon früh der Physiker Edward Teller. Teller war ein brillanter Wissenschaftler, aber eigentlich interessierte ihn der Bau einer Atombombe nicht sonderlich, schon während des Manhattan-Projekts legte er seinen Forschungsschwerpunkt auf thermophysische Fragen. Mit Oppenheimer und Teller trafen zwei grundverschiedene Charaktere aufeinander, hier der ruhige, besonnene Intellektuelle, dort der umtriebige, forsche Wissenschaftler. Immer wieder rieben sie sich aneinander. Auch politisch waren sie sich kaum je einig. Teller war es nun, der sich daran störte, dass das Manhattan-Projekt im Oktober 1945 zu Ende sein sollte, dabei arbeitete er ja an der Entwicklung einer noch viel durchschlagskräftigeren Waffe, die die USA als Weltmacht Nummer eins etablieren könnte. Beim Vorsitzenden der Atomenergiebehörde, Lewis Strauss, fand Teller einen Verbündeten, vor allem als sich abzuzeichnen begann, dass die Sowjetunion und die USA zu Antagonisten in der neuen Weltordnung wurden.

Die Situation für Oppenheimer wurde immer delikater, war es doch allgemein bekannt, dass er gegen die Erforschung einer thermonuklearen Bombe stand und in den 1930er-Jahren mit dem Kommunismus sympathisierte. Das Beratergremium konnte er noch von seiner Linie überzeugen, die Atomenergiebehörde schwenkte jedoch unter dem Einfluss von Strauss auf Tellers Standpunkt. Das Verhältnis zwischen Oppenheimer und Strauss wurde immer schwieriger. Strauss warf Oppenheimer vor, er behindere das Wasserstoffbomben-Projekt, also stellte er sich auch gegen die Interessen der USA, seine Haltung sei demnach unamerikanisch. Strauss setzte sich durch. Präsident Harry S. Truman gab am 31. Januar 1950 bekannt: »Es gehört zu meiner Verantwortung als Oberbefehlshaber der Streitkräfte, dafür zu sorgen, dass unser Land in der Lage ist, sich gegen jeden möglichen Aggressor zu verteidigen. Dementsprechend habe ich die AEC (Atomenergiebehörde) angewiesen, ihre Arbeit an allen Formen von Atomwaffen, einschließlich der so genannten Wasserstoff- oder Superbombe, fortzusetzen.« Ref.

Schließlich eskalierte die Situation zwischen Strauss und Oppenheimer vollends und Oppenheimer wurde 1954 von einer Untersuchungskommission der Atomenergiebehörde einen fragwürdigen Prozess gemacht. Er fand sich von Beginn weg auf verlorenem Posten, standen den Anklägern doch sämtliche FBI-Unterlagen zur Verfügung, den Verteidigern jedoch nicht. Zudem verstanden zwei der drei Kommissionsmitgliedern nicht sehr viel von Atomphysik. Ihm wurde die Clearance, also der Zugang zu geheimen Informationen, entzogen, was einer Entmachtung gleichkam.

Das Manhattan-Projekt wurde also 1945 zum Leidwesen von Teller eingestellt, trotzdem experimentierten die US-Amerikanischen Streitkräfte diesmal unter der Leitung der Navy und wieder in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern, wobei die bekanntesten Namen des Manhattan-Projekts fehlten, weiter mit Atombomben, später auch mit thermonuklearen Bomben. Das Testgebiet wurde in die Wüste von Nevada und in den Pazifik verlegt. Ziel der Tests war es, mehr über die Wirkung, die Effektivität und den Zerstörungsgrad herauszufinden, wobei man die Bauweisen der Bomben variierte. Ab Sommer 1946 liefen auf dem Bikini-Atoll die Operationen Crossroads, Castle etc., auf dem benachbarten Eniwetok-Atoll (Julian Charrière, J. G. Ballard) waren es Sandstone, Greenhouse, Ivy. Am 31. Oktober 1952 wurde in der Operation Ivy eine Bombe namens Mike getestet, die auf einer thermonuklearen Fusion basierte. Der beim Mike-Test detonierte Sprengsatz war die erste echte Wasserstoffbombe, die jemals gezündet wurde, also der erste thermonukleare Sprengsatz, der auf den sogenannten Teller-Ulam-Prinzipien der gestuften Strahlungsimplosion aufbaute. Das Gerät wurde unter der Leitung von J. Carson Mark in Los Alamos entworfen. Da Teller nicht zum Leiter ernannt worden war, verließ er das Projekt vorzeitig. Die Erschütterungen der Testzündung in Eniwetok verfolgte er auf einem Seismographen in Berkeley.

Die sowjetische Antwort folgte im August 1953.

Die letzten Tests auf den beiden Atollen wurden 1958 durchgeführt.

Das Anthropozän ist also das Zeitalter, in dem wir viele uns natürlich erscheinende Phänomene in der Landschaft als vertraut bezeichnen würden, obwohl sie alles andere als natürlich sind. Eine andere Normalität hat sich gewissermaßen über die alte gelegt. Bilder solcher Landschaften camouflieren den Urzustand und sie können verstörend malerisch sein. Man denkt etwa an die Schwarzweiß-Bilder gigantischer Häusermeere, aufgenommen aus der Luft von Balthasar Burkhard (Fotos). Oder die verlorenen Landschaften, seien es abgeholzte Wälder oder Trailerdörfer, des Fotografen Robert Adams (Fotos) aus den 1960er Jahren.

Der Kanadier Edward Burtynsky (Anthropocene) hat diese Tradition in die Gegenwart weitergetragen. Monumentale Aufnahmen von Steinbrüchen, Ölfeldern, Raffinerien, Absetzbecken, Müllkippen, Schiffsfriedhöfen etc. vereinen sich in seiner Schau »Anthropocene«. Beispielsweise ist ein grauer, breiter Fluss in Nigeria zu sehen, auf dem – wie leicht geöffnete Fächer – Baumstämme schwimmen und der Wasseroberfläche ein eigenartiges Muster verleihen, das einen fern an Dekorationen von Sushi-Speisen erinnert. Auf den ersten oberflächlichen Blick ist kaum zu erkennen, dass da erstens ein Fluss abgebildet ist und dass es zweitens zur Weiterverarbeitung bestimmte Baumstämme sind, die darin diese Strukturen zeichnen. Oder es ist eine trapezförmige, rot-grün-graue Fläche zu sehen, wie man sie von Marmorverzierungen in italienischen Palästen oder auf alten Puderdosen kennt. Darum herum sind sand- und goldfarbene Linien und Strukturen gezogen, daran schließt eine weitere, straffierte Fläche an. Der Deckel der goldenen Puderdose? Am oberen Bildrand erscheinen Gebäude und Strassen. Es handelt sich um eine Luftaufnahme einer Mine in Arizona.

Das Irritierende daran ist die schiere Schönheit, die von den Bildern ausgeht. Erst mit dem zweiten Blick dieser zuerst abstrakt wirkenden Fotografien erkennt man die menschliche Zurichtung der Landschaft, die darauf abzielt, natürliche Ressourcen auszubeuten und dabei die Natur zerstört. Die Verwüstung der Erdoberfläche löst in uns ästhetisches Wohlgefallen aus und zeigt uns, wie wir gegenüber der Umweltzerstörung bereits bestens anästhesiert worden sind. Diese Kruste, die von der Anästhesie herrührt und die uns den Blick auf die Zusammenhänge versperrt, kann beim Betrachten dieser Bilder wieder aufgebrochen werden.

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Oppenheimer war sehr breit gebildet und nicht nur an der Atomphysik interessiert. Und zuweilen etwas verschroben und in jungen Jahren unsicher und nicht sehr zugänglich. Oppenheimers als Arroganz ausgelegte Distanziertheit und seine Depression in jungen Jahren wurden zum Problem. Seine Eltern waren besorgt über die psychische Verfassung ihres Sohnes und sie schickten ihn zu einem Psychologen, später zu einem Tiefenpsychologen. Dieser verzweifelte jedoch an seinem Patienten, denn der belesene Oppenheimer kannte sich in den Schriften von Freud vortrefflich aus und er begann, seinen Seelendoktor über die Psychoanalyse aufzuklären. Es ist kaum nachvollziehbar, wie gut dieser theoretische Physiker in Psychoanalyse, Geisteswissenschaften, Philosophie und Belletristik bewandert war, wenn man bedenkt, dass er in erster Linie die Fachliteratur über Atomphysik und Mathematik zu studieren hatte. Marx’ drei Bände zum Kapital hatte er allesamt auf einer mehrstündigen Zugfahrt gelesen – und begriffen, Lenins Gesammelte Werke studierte er ebenso. 1933 lernte er Sanskrit in Berkeley und so befasste er sich mit hinduistischen Religionsbüchern wie etwa der Bhagavad Gita in der Originalsprache. Die Lektüre von Prousts Recherche soll sein Verhalten zum Positiven beeinflusst haben, Oppenheimers Sicht auf das eigene Ich hatte sich durch Prousts Kunst der Introspektion verändert. Er begann, sich den Leuten zu öffnen und er entwickelte sich zu einem engagierten Gesprächspartner. Zwar war er immer noch von sich selbst überzeugt und kritisierte die Einfältigkeit anderer Leute nach wie vor harsch (zum Beispiel Präsident Truman), aber seine Bildung beeindruckte seine Gesprächspartner immer wieder. So konnte er nächtelang darüber debattieren, ob Dostojewski oder Tolstoi der bessere Schriftsteller sei, er war über die französische Literatur so im Bilde, als hätte er sie studiert.

Das Quartär begann vor 2,588 Millionen Jahren, darin das Holozän vor zirka 12’000 Jahren.

Virus

http://nuclearweaponarchive.org/Usa/Tests/Ivy.html

Der Pandemieplan Schweiz, in der aktuellen Fassung der Influenza-Pandemieplan Schweiz 2018, ist ein Planungsinstrument, das Strategien und Massnahmen zur Vorbereitung der Schweiz auf eine (Influenza-)Pandemie dokumentiert. Er wird von der Eidgenössischen Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP) und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) herausgegeben.

Der erste Pandemieplan für die Schweiz wurde von einer Arbeitsgruppe unter Leitung von Robert Steffen ausgearbeitet. Die Vorarbeiten wurden 1995 begonnen; der erste schweizerische Influenza-Pandemieplan wurde im Jahr 2004 veröffentlicht. Ein zentrales Anliegen sei laut Steffen dabei gewesen, dem Bund die Führung zu überlassen.

Nach den Erfahrungen in der Bewältigung der Influenza-Pandemie 2009 wurde der Schweizer Pandemieplan vollständig revidiert.

Kristian G. Andersen et al, The proximal origin of SARS-CoV-2, 

(abgerufen am 2.5.2020)

http://nuclearweaponarchive.org/Usa/Tests/Ivy.html