Über die Ursprünge des Virus
Genetische Analysen unterstützen die These, dass das Coronavirus durch natürliche Weise von Fledermäusen auf den Menschen (direkt oder mit Zoonose) übertragen worden ist. Die Frage stellt sich daher nur, wo und wie. In einem Artikel im medizinischen Fachblatt The Lancet kommen chinesische Forscher zum Schluss, dass nicht alle Fälle, die sie nachverfolgen konnten, auf einen Kontakt mit dem Lebendtiermarkt in Wuhan zurückzuführen sind. Bis dahin wurde davon ausgegangen, dass das Virus von dort kam. Das öffnet Spekulationen Tür und Tor, auf welchen anderen Wegen das Virus in Umlauf gekommen ist. Naheliegend, dass sich der Blick auch auf zwei Labore in Wuhan richtet, jenes des Wuhan Institute of Virology oder jenes des Center for Disease Control and Prevention.
Der amerikanische Forscher Peter Daszak, der in Coronavirus-Projekten in Wuhan involviert ist und der auch von offiziellen US-amerikanischen Instituten alimentiert wird, glaubt nicht an eine Infektion aus dem Labor heraus. Andere namhafte Wissenschaftler stimmen dieser Einschätzung zu. Gleichwohl nimmt Filippa Lentzos vom King’s College in einem Artikel des Bulletin of the Atomic Scientists vom Mai 2020 die zwei Forschungslabore in Wuhan näher unter die Lupe. Sie will die Möglichkeit nicht grundsätzlich ausschließen, ob es vielleicht doch aus einem Labor hätte entweichen können. Sie kommt letztlich zum Schluss, dass die Wahrscheinlichkeit eines Laborausbruch verschwindend klein ist.
Einerseits handelt es sich wie erwähnt um das Wuhan Center for Disease Control and Prevention, das sich nur einen Steinwurf entfernt vom Huanan Seafood Market befindet, und andererseits um das Wuhan Institute of Virology (WIV), Letzteres unterteilt in zwei Unterinstitute. Eines davon ist ein National Biosafety Laboratory, ein Labor, das die Normen für die höchste Bio-Sicherheitsstufe erfüllt. Die von Frankreich mitentwickelte Institution ist weltweit führend in der Erforschung von Viren, die von Fledermäusen stammen. Zum Alltag von Wissenschaftlern gehört die Feldforschung. Sie hocken vor enge Höhlen, in denen Fledermäuse wohnen, und fangen die Tiere, wenn sie hinausfliegen, und nehmen Proben verschiedenster Ausscheidungsarten und vom Blut. Manchmal gehen sie auch in die Höhlen hinein. Auf diese Weise wurden schon Hunderte von Viren entdeckt, mindestens 12 davon sind SARS-Viren, darunter das SARS-CoV, das verantwortlich für frühere Virus-Ausbrüche war.
Shi Zhengli im Labor
Diese Feldforschung ist für die Wissenschaftler nicht ungefährlich, einer von ihnen, Tian Junhua vom chinesischen CDC in Wuhan, sagt denn auch: »Wenn Sie Viren finden wollen, setzen Sie sich ihnen auch aus.« Gelegentlich kommt es zu Zwischenfällen, sei es durch Attacken der Fledermäuse, sei es durch unsachgemäße Handhabung des Sicherheitsmaterials in der Nähe der Höhlen. Oder wenn man in das Innere der Höhlen geht, kann man von Urin und Kotteilen, die die Fledermäuse ausscheiden, bekleckert werden. Allerdings stellt sich dabei die Frage, inwiefern solche Ausscheidungen genug intakte Viren aufweisen, um Erkrankungen auszulösen. Ein chinesisches Forscherteam hat Einheimische untersucht, die in der Nähe von Fledermaus-Kavernen wohnen, in denen SARS-Viren gefunden wurden. Drei Prozent von ihnen hatten Antikörper entwickelt.
In den Instituten selbst ist oberste Vorsicht geboten. Auch im CDC Wuhan, das nicht den höchsten Sicherheitsvorschriften unterliegt, wird an SARS geforscht. Aber nur am WIV werden unter der Leitung der führenden SARS-Forscherin Shi Zhengli auch chimärische Viren untersucht. Aus zwei Viren wird ein Hybrid zusammengesetzt, der ansteckender und gefährlicher als natürliche Viren sein kann. Mit dieser Methode will man herausfinden, inwiefern die Erreger direkt für den Menschen bedrohlich werden können, man nennt dies auch gain-of-function-Experimente. Daraus werden neue Erkenntnisse zu therapeutischen und zu Notfallmaßnahmen gewonnen. Bereits im Jahre 2014 legte die Administration Obama die finanzielle Unterstützung in diese Chimären-Projekte des WIV auf Eis.
Im Januar 2018 besichtigten der US-amerikanische Generalkonsul von Wuhan und ein Botschaftsrat für Umwelt, Wissenschaft, Technologie und Gesundheit das Institut. Sie stellten Mängel fest, etwa dass das Personal allgemein zu schlecht ausgebildet und das Management unzureichend sei. Zudem stellten sie Defizite bei der Einhaltung der Sicherheit fest, gerade auch bei Laborarbeiten am Coronavirus der Fledermaus. Sie schlugen vor, dass die bereits bestehende Zusammenarbeit des WIV mit dem Galveston National Laboratory der Universität Texas ausgebaut werden soll. Das US-Außenministerium unternahm nichts.
Die Forschungsprojekte von Daszak und Shi, die nicht mit den Hybriden zusammenhängen, wurden vom National Institutes of Health (NIH), genauer vom National Institute of Allergy and Infections Diseases unterstützt, bis sie im Februar 2020 von der US-Regierung aufgrund des Verdachts eines Laborausbruchs sistiert wurden. Daszak und Shi können diese Entscheidung nicht nachvollziehen, es gibt keine aktuellen Hinweise auf unkontrollierte Ereignisse. Der Verdacht der Administration Trump, so fasst Lentzos zusammen, bestand darin, dass das Virus ursprünglich im WIV hergestellt wurde.
Es gibt aber keinen wissenschaftlichen Beweis dafür, dass SARS-CoV-2 seinen Ursprung in der Sammlung von Fledermausviren von Shi beim WIV hat. »Das bekannte Fledermausvirus, das SARS-CoV-2 am nächsten kommt, ist … vom Pandemievirus evolutionär mindestens 20 Jahre entfernt. D.h. wenn es aus einem Labor entkommen wäre, hätte es zwei Jahrzehnte gedauert, bis es sich zu dem Virus entwickelt hätte, das bis heute mehr als 230.000 Menschen getötet hat«, urteilt das ScienceMag von der AAAS im Mai. Daszak bezeichnet auf CNN den Unterschied zwischen den beiden Viren als etwa gleich groß wie jenen zwischen Menschen und Schimpansen.
Eine Forschergruppe um Kristian G. Andersen von The Scripps Research Institute in La Jolla (CA) kommt in ihrer Untersuchung zum gleichen Schluss: »Da wir jedoch alle wichtigen Merkmale von SARS-CoV-2 … bei verwandten Coronaviren in der Natur beobachtet haben, glauben wir nicht, dass irgendeine Art von laborbasiertem Szenario plausibel ist.« Die Forscher müssen aber einräumen, dass ein versehentlicher Ausbruch nicht komplett ausgeschlossen werden kann (es gibt auch Tiere im Labor, die Träger sein können). Auch für General Mark Milley vom medizinischen Geheimdienst der USA in Fort Detrick sind die Indizien für die Labortheorie »nicht zwingend«, auch nicht für jene, die besagt, es sei zufällig, per Unfall oder unabsichtlich geschehen.
Der Virologe Thomas Mettenleiter bemerkt in der FAS vom 28.4.2020 zwar, dass der menschliche Faktor nie ganz auszuschließen ist: »Da kann natürlich auch mal ein Tropfen danebengehen oder sonst etwas passieren, was man gar nicht als Havarie ausfassen würde.« Aber er schätzt ein solches Malheur als sehr unwahrscheinlich ein. Wenn ein Drittel der Fälle nicht auf den Huanan-Tiermarkt zurückgeführt werden können, heißt das nicht, dass deshalb die Spur zum Labor führen muss, sondern dass der Anfangszeitpunkt noch unbestimmt ist, also Patient 0 nicht bekannt ist. Epidemiologen gehen davon aus, dass der erste Fall vermutlich im Oktober 2019 aufgetreten war.
Zwischenfälle aus einem der Wuhan-Labore sind bisher nicht bekannt. Dass Sicherheitsfragen immer wieder aufkommen, liegt in der Natur der Sache. Der Institutsleiter des CDC beklagte sich darüber, dass die chinesische Regierung seinem Institut verweigere, jene Sicherheitsmaßnahmen zu gewähren, die jenen des National Biosafety Laboratory entsprechen würden.
Irritierend ist allenfalls einerseits, dass der Bericht von 2018 des Besuchs der US-amerikanischen Delegation von der Webseite des WIV gelöscht worden ist und andererseits die Entscheidung der chinesischen Regierung, dass ab Februar die Generalmajorin und Virologin Chen Wei , ihreszeichens die höchste Expertin für Biotechnologie in der Armee, eine führende Rolle im WIV übernommen hat. Ab Mitte April 2020 ist die Kontrolle der chinesischen Regierung über die Forschung in den verschiedenen Laboren im Lande nochmals verstärkt worden. Es sind Restriktionen erlassen worden, die unter anderem in Form von Zensuren auch für wissenschaftliche Publikationen aus den Forschungsstätten gelten. Berichte, Newsletter und Pressemitteilungen wurden zum Teil von den verschiedenen Internetseiten der Institute entfernt. Schon um die Jahreswende wurden Hinweise, die auf die Entdeckung eines neuen Virus’ deuteten, gesammelt und weggeschlossen, Laborunterlagen wurden vernichtet und eine Veröffentlichung des Genoms des neuen Virus vom 11. Januar eines Labors in Shanghai, wurde kassiert.
Im Frühjahr 2020 war ein end- und fruchtloses Hickhack zwischen den USA und China über den Ausbruch der Pandemie im Gange. Die Falschmeldungen liefen sind den Rang ab. So wurde etwa die von Virologen schon lange entkräftete These, das Virus sei menschengemacht, erneut hervorbemüht.
Kurzes Fazit: Es ist noch nicht alles klar, aber fast. Es stehen theoretisch zwei Wege zur Diskussion, wie sich das Virus auf den Menschen hatte übertragen können: Direktinfektion oder Infektion über einen Zwischenwirt. Alles spricht dafür, dass Lebendtiermärkte eine wichtige Verbreitungsquelle sind, aber nicht am Ursprung stehen. Zahlreiche Infektionsfälle in Wuhan sind auf Verbindungen mit diesen Märkten nachgewiesen.
Offenbar wurde das Gerücht des Laborausbruchs aufgrund der Berichte der beiden US-Diplomaten im Jahre 2018 aufgewärmt und mit großem Getöse verbreitet. Via Wall Street Journal kam es zu Fox-News-Moderator Tucker Carlson. Donald Trump hört auf ihn. Das sind aber mitnichten überzeugende Beweise, nicht einmal Beweise. Weit und breit kein rauchender Colt in Sicht. Dass das Virus im Labor gezüchtet beziehungsweise zusammengebastelt worden ist, ist – auch wenn man die Fachliteratur nur oberflächlich versteht – unrealistisch, unwahrscheinlich und aufgrund von Untersuchungen an der Gensequenz des Virus auch für Nichtexperten nachvollziehbar widerlegt worden. Also hätte das Virus zuerst ins Labor gelangen müssen, bevor es dann unabsichtlich wieder hätte ausbrechen können (vielleicht auf einem Wirt). Diese Vorstellung ist abenteuerlich. Aus früheren Projekten der Feldforschung von Shi ist bekannt, dass Mitarbeiter des Labors nach Zwischenfällen in Quarantäne mussten.
Die Laborausbruchthese ist nicht zu hundert Prozent widerlegt, aber fast.
Wobei.
Jene, die an die Laborthese glauben, werden sich von den Fakten – falls sie gegen sie sprechen – nicht beeindrucken lassen.
Und hier die Fortsetzung:
»Bat Woman« Shi Zhengli beantwortet kritische Fragen von John Cohen in Science.
Die chinesische Virologin Shi Zhengli ist nach den Anschuldigungen der Administration Trump, das Virus stamme aus ihrem Labor im Wuhan Institute of Virology (WIV) unter Druck gekommen. Dabei wurde in zahlreichen Studien dargelegt, dass die Virus-Genomsequenz unmöglich künstlich hergestellt werden konnte (s.o.). Das Magazin Science hat der Forscherin einen Fragebogen unterbreitet, um allfällige Unklarheiten zu bereinigen.
Shi und ihre Kollegen haben das Virus Ende Dezember 2019 in Proben von Lungenkranken entdeckt. Vorher hätten sie weder Kontakt zum Virus gehabt, noch haben sie es gekannt, schreibt sie. Die Anschuldigungen der Administration seien falsch und gefährdeten die akademische Arbeit. Sie verlangt eine Entschuldigung des noch amtierenden US-Präsidenten.
Sie hätten in den letzten 15 Jahren über 2000 Coronaviren von Fledermäusen entdeckt und im WIV archiviert. Die genetische Sequenz des SARS-CoV-2 sei zu 96,2 Prozent identisch mit einem anderen, ihnen bereits bekannten Coronavirus, deren Gensequenz RaTG13 heißt (der Name weist auf die Fledermausart Rhinolophus affinis, den Fundort Tongguan und das Entdeckungsjahr 2013 hin). Daher wurde der neue Erreger auch als Coronavirus eingeordnet. Shi versteht nicht, dass das US-amerikanische Gesundheitsinstitut (NIH) Gelder gestrichen hat für Forschungen, die sie mit dem amerikanischen Forschungsinstitut EcoHealth Alliance und dem anerkannten Forscher Peter Daszak in New York zum Coronavirus geplant hatte.
Auf die Frage, ob das Virus nicht vielleicht versehentlich aus dem Labor entwichen sei, sagt Shi: »Inzwischen stehen die Forschung und die Experimente in unserem Institut in strikter Übereinstimmung mit den internationalen und nationalen Anforderungen von Biosicherheitslaboratorien … Sowohl die Einrichtungen als auch das Management der P3- und P4-Laboratorien sind sehr streng (Das WIV trägt das höchste Sicherheitslabel P4, a.s.). So muss beispielsweise das Forschungspersonal persönliche Schutzausrüstung tragen. Die Luft im Labor kann erst nach einer hocheffizienten Filterung abgeführt werden. Abwässer und feste Abfälle müssen unter hohen Temperaturen und hohem Druck sterilisiert werden. Der gesamte Prozess der experimentellen Aktivitäten wird vom Personal des Biosicherheitsmanagements videoüberwacht. Jedes Jahr müssen die Einrichtungen und Geräte des Labors durch eine von der Regierung autorisierte Drittinstitution getestet werden. Erst nach Bestehen des Tests kann das Labor weiter betrieben werden. Die hochrangigen Biosicherheitslabors unseres Instituts wurden sicher betrieben. Bis heute sind weder Erregeraustritte noch Unfälle mit Personalinfektionen aufgetreten.«
Auf die Frage, woher das Virus stamme, sagt sie: »Nach den Erkenntnissen unseres Teams und unserer internationalen Kollegen ist es sehr wahrscheinlich, dass das SARS-CoV-2 von Fledermäusen abstammt. Es kann sich in einem oder mehreren Zwischenwirten entwickelt, an den Menschen angepasst und schließlich unter Menschen verbreitet haben. Es ist jedoch nach wie vor unklar, welche Tiere die Zwischenwirte waren und wie es auf den Menschen übertragen wurde.« Die Rolle des Huanan Seafood Market ist noch nicht restlos geklärt. Shi geht davon aus, dass es nichts mit den dort gehandelten Tieren zu tun hat, sie hätten keine Nachweise von SARS-CoV-2-Nukleinsäuren in gefrorenen Tierproben gefunden, nur an Türgriffen, am Boden und im Abwasser. Über die Möglichkeit der lebenden Tiere als Träger sagt sie nichts. Vermutlich habe es sich im Markt verbreitet, weil üblicherweise viele Leute dort sind, einige davon waren vermutlich angesteckt. Wo dies geschah, ist unbekannt. Auch hat sie noch keine Kenntnisse davon, wo genau das Virus seinen Ursprung hat.
Dann stellt das Magazin noch weitergehende forschungstechnische Fragen. Zum Beispiel habe sie 2018 und 2019 In-Vivo-Experimente mit Mäusen und Zibetkatzen mit Viren durchgeführt, die dem SARS-CoV nahekommen. Das stimme, die Resultate würden in Bälde veröffentlicht. Ob Mitarbeiter erkrankt seien, wird weiter gefragt. Sie hätten kürzlich Seren aller Mitarbeiter und Studenten im Labor getestet, und niemand ist entweder mit dem Fledermaus-SARSr-CoV oder SARS-CoV-2 infiziert. Bis heute gibt es keine Infektionen bei den Mitarbeitern und Studenten am Institut.
Dann wird sie nochmals nach der Möglichkeit gefragt, ob nicht-bekannte Coronaviren im Labor sein könnten. Sie hätten sämtliche 2007 Coronavirus-Proben getestet: »Wir fanden keine Viren, deren Gensequenz der von SARS-CoV-2 ähnlicher ist als die von RaTG13.« Sie wiederholt, sie hätten am 30. Dezember 2019 Proben von sieben Patienten erhalten, fünf davon waren positiv. Darauf hätten sie das neue Virus analysiert und eine Gensequenzierung durchgeführt. Über die WHO sei die Genomsequenz am 12. Januar 2020 veröffentlicht worden.
Shi verneint, dass sie jemals dazu gezwungen worden war, Viren oder Proben zu vernichten. Sie glaubt auch nicht, dass das Virus in einem anderen Labor in Wuhan hergestellt worden beziehungsweise aus einem Labor ausgebrochen sei. Am Schluss fordert sie die internationale Gemeinschaft auf, zusammenzuarbeiten und die Untersuchung am neuen Virus über die Landesgrenzen hinweg zu koordinieren.