Über Wirte und Märkte

Eine Spurensuche
Nein, es geht nicht um das Elend in der Gastronomie. Virologen suchen nach den Wegen, wie das Virus zum Menschen gelangt. Dabei spielen Märkte, auf denen lebende Tiere verkauft werden, eine Hauptrolle. Ein Augenschein im Kasanka-Nationalpark in Sambia, ein Tiermarkt in der Republik Kongo und der Huanan-Großmarkt in Wuhan oder die Frage nach den Wirten von Viren.
Hummer mit Zitrone
Ein Zwischenwirt?
Fischmarkt in Siracusa

Wird Covid-19 den Handel mit Wildtieren in China lahm legen?, fragen sich Christian Shepherd und Qianer Liu in der FT. Ref. Aber welche Tiere sind überhaupt Träger von gefährlichen Viren?, fragt sich Christina Brandt in der SZRef. 

Wirte

Jahr für Jahr treffen sich im Kasanka-Nationalpark in Sambia etwa zehn Millionen Palmenflughunde, dann nämlich stehen die Fruchtbäume in voller Reife. Die Flugschwärme sind so dicht, dass sich der Himmel schon vor der Dämmerung eindunkelt. Ein Festessen für die Fledertiere und ein Naturschauspiel für die Touristen beginnt, schreibt Christina Berndt in der SZ (9./10. Januar 2021). Aber auch eine Fundgrube für Virologen auf ihrer Suche nach neuen Viren öffnet sich. Die Flughunde gehören zusammen mit den Hufeisennasenartigen (Hufeisennase) zur Unterordnung Yinpterochiroptera der Fledertiere. In der Chinesischen Hufeisennase konnte die Virologin Shi Zhengli 2013 das SARS-CoV identifizieren, das für den SARS-Ausbruch 2002/2003 verantwortlich war (Zur Herkunft des Virus). Auch die verwandten Palmenflughunde tragen etliche Viren in sich. Forscher schätzen alleine bis zu 3000 verschiedene Varianten des Coronavirus. Hinzu kommen noch zahllose andere Viren, die ebenso verheerende Folgen auf den Menschen haben könnten. Die Fledertiere sind immun gegen diese Erreger.

Sollte sich auf irgendeine Art und Weise ein Virus vom Tier auf den Menschen übertragen, könnte das – muss aber nicht – eine Ansteckungswelle auslösen, die sich vielleicht auch wieder zu einer Pandemie entwickeln kann. Wer weiß jedoch schon im Voraus, welche Viren wie gefährlich sind? Stephan Ludwig vom Institut für Molekulare Virologie der Universität Münster sagt in der SZ, dass zwei Drittel der bei Menschen diagnostizierten Erreger auf eine Zoonose zurückzuführen sind, also das Virus vom ursprünglichen Wirt direkt oder über einen Zwischenwirt zum Menschen übertragen wird (Über Zoonosen II).

Gefährliche Feldforschung

Die Erforschung solcher zoonotischen Übertragungen steht jeweils im Mittelpunkt bei der Suche nach den Ursprüngen eines viralen Ausbruchs. Es stellt sich die Frage: Wo beginnen? Welche Viren sollen identifiziert werden? Erschwerend ist der Umstand, dass sich Viren nur mit verhältnismäßig komplizierten Methoden untersuchen lassen, es braucht in der Regel eine Analyse des Gens. Zwar gibt es unterdessen mit dem sogenannten Next-Generation-Sequencing eine Methode, die das Erbgut schneller entziffern und den Abgleich mit Datenbanken erleichtern kann. Aber insgesamt ist der Aufwand immer noch enorm. Experten gehen davon aus, dass es etwa 320’000 Viren in den verschiedensten Tieren gibt. Insgesamt gibt es laut UNO 800’000 unbekannte Erreger, die in Wildtieren hausen und auf den Menschen überspringen können, sobald ein unkontrollierter Kontakt stattfindet. Das Aufspüren jedes einzelnen ist praktisch unmöglich. Das Sprichwort mit der Suche nach der Nadel im Heuhaufen dürfte noch arg untertrieben sein.

Häufig kommen die Erreger aus der Wildnis, also dem Menschen gänzlich unbekannten Gefilden. Deshalb können sie für ihn so gefährlich sein, denn er muss die Immunantwort erst noch entwickeln. Von der Logik her ist diese Tatsache für das Tun des Forschers überaus bemerkenswert. Wenn der Mensch in die Wildnis geht, um nach den Viren zu suchen, setzt er sich unweigerlich der Gefahr einer Ansteckung aus und könnte zum Wirt werden. Der Bote wird zum Überbringer der Krankheit. Das ist eine delikate Ausgangslage und erfordert äußerste Vorsicht. Einmal fiel vor den Augen des Virologen und WHO-Experten Fabian Leendertz ein Affe tot um. Er fand im Tier einen gefährlichen Milzbranderreger. Der Shi-Zhengli-Mitarbeiter und Fledertierforscher Tian Junhua sagt denn auch: »Wenn Sie Viren finden wollen, setzen Sie sich ihnen auch aus.« (Zur Herkunft des Virus) Gelegentlich, so Junhua weiter, kommt es zu Zwischenfällen, sei es durch Attacken der Fledermäuse, sei es durch unsachgemäße Handhabung des Sicherheitsmaterials in den Höhlen der Fledertiere. Oder wenn man im Inneren der Höhlen von Urin und Kotteilen, die die Fledermäuse ausscheiden, bekleckert wird. Ein chinesisches Forscherteam hat Einheimische untersucht, die in der Nähe von Fledermaus-Kavernen wohnen, in denen SARS-Viren gefunden wurden. Drei Prozent von ihnen hatten Antikörper gebildet. Beim Ebola-Virus fand Fabian Leendertz vom Robert-Koch-Institut (RKI) eine direkte Ansteckungsart: Ein zweijähriger Knabe spielte im Hohlraum eines Riesenbaumes, der gleichzeitig auch als Wohnzimmer einer Angola-Bulldog-Fledermaus-Kolonie diente. Der Junge wurde angesteckt und brachte die Viren unter die Menschen. Als Leendertz, so die SZ, den Baum untersuchen wollte, hatten ihn die Dorfbewohner schon in Brand gesteckt.

Zwischenwirte

Da der direkte Weg zum Ursprungswirt tückisch und beschwerlich ist, weicht man auf die Zwischenwirte aus. Viel Forschung wird auf das Auffinden solcher Träger aufgewendet. Sinnvoll wäre es eigentlich, dass Wild-, Stall- und Haustiere in gewissen gefährdeten Gebieten sofort untersucht würden, wenn sie auffällige Symptome entwickelten. Nur dürfte das kaum umsetzbar sein. Auch Stechmücken und andere potentielle Trägertierarten müssten regelmäßig untersucht werden. Auch das ist nicht praktikabel. Zuweilen spannen Virologen mit Verhaltensforschern zusammen, die Kot und andere tierische Ausscheidungen untersuchen. Darin sind nützliche Hinweise auf virale Aktivitäten zu finden. Das sind jedoch in der Regel nur Momentaufnahmen in einem unüberblickbaren Meer des natürlichen Lebens. Ein totes Tier kann von Zoonoseforschern obduziert werden, um den Erreger, der das Tier zur Strecke gebracht hat, zu finden. Immerhin das.

Es ist jedoch unmöglich, alle Quellen im Überblick zu haben und bei Bedarf zu kontrollieren. Fabian Leendertz hat beispielsweise auf einem Bushmeat-Markt in Brazzaville zufälligerweise Palmenflughunde zum Verkauf angeboten gesehen. In ein paar Gewebeproben fand er Erreger, die den Nipah-Viren ähnelten. Diese Viren haben das Potenzial, eine Pandemie auszulösen. Man stellt sich vor, wie ein Käufer ein solches Tier frohgemut nach Hause bringt und ausweidet. Leendertz sagt gegenüber der SZ, dass beim Schlachten das Risiko einer Übertragung besonders hoch ist.

Lebende Tier kaufen

In Asien wird verpacktes Fleisch oftmals als Gammelfleisch betrachtet. Das kann ja nicht frisch sein, sagen sich viele. Wir kennen solche Eigenarten auch in unseren Breitengraden. Etwa die Muscheln der Spaghetti vongole. Oder der Hummer, der in der Brasserie serviert wird, hat bis kurz vor seinem Auftischen noch gelebt. David Foster Wallace hat in seinem Essay Am Beispiel des Hummers geschrieben: »Hummer kommt lebend in den Topf. Genau das macht den modernen Reiz des Hummers aus: Etwas Frischeres gibt es nicht. Der übliche Gammel zwischen Fang und Verzehr entfällt vollständig.« Ref. Keine Chance für Gammel. Austern sterben gar erst nach dem Verzehr durch unsere Magensäure. Das Angebot auf den chinesischen Tiermärkten ist ungleich breiter. Man deckt sich dort mit allerlei frischen, lebenden Tieren ein, aber auch mit allen anderen Lebensmitteln. Allerdings werden nicht auf allen Märkten auch lebende Tiere verkauft.

Zuweilen werden die Märkte, die vorübergehend schließen sollen, auch wet markets genannt. Der Begriff wet market ist jedoch irreführend. Er stammt aus dem Hongkong-Englischen und bezeichnet Märkte, die auf glitschigen, feuchten Böden stattfinden, und auf denen Gemüse, Früchte, Fleisch und Meerestiere gehandelt werden. Feucht und glitschig werden sie durch die Lebensmittelabfälle und das Wasser, mit dem diese Lebensmittel abgespritzt werden. Nicht zwingend werden dort lebende Tiere verkauft. Diese sprachliche Ungenauigkeit – es gibt in Mandarin keine Entsprechung für wet market – hat viele Leute in China beunruhigt. Sollten jetzt wirklich alle Märkte verschwinden, also auch jene, auf denen keine lebenden Tiere verkauft werden? Für Chinesen ist das unvorstellbar, das wäre, als würde man in der Schweiz die Lebensmittelabteilungen von coop, Migros etc. dichtmachen und die Wochenmärkte abschaffen. Denn Chinesen kaufen auf ihren Märkten alles für den täglichen Nahrungsbedarf. Eine Schließung bedeutete für sie eine Katastrophe.

Wenn wir also von einem wet market sprechen, müssten wir jeweils präzisieren, ob dort auch lebende Tiere gehandelt werden oder nicht. Wir bevorzugen deshalb den sperrigen Begriff Lebendtiermarkt. Die Wahrscheinlichkeit ist relativ groß, dass an solchen Handelsplätzen infizierte Tiere gehandelt werden und demzufolge zoonotische Übertragungen auf den Menschen stattfinden können. Denn dort werden tatsächlich Lebewesen angeboten, die als Wirte oder Zwischenwirte bekannt geworden sind. Beliebte Kandidaten sind Larvenroller (die Zwischenwirte für das SARS-CoV waren), Zibetkatzen, Füchse, Riesensalamander, Schuppentiere, Fledertiere (Ebola), Affen (HIV), Schlangen. Deshalb sind während der Coronapandemie diese Märkte in den Mittelpunkt gerückt. In China stellen die Lebendtiermärkte und ihr zugewandten Branchen wie etwa die Tierzucht und die Gastronomie eine bedeutende Wirtschaftskraft dar.

Zucht

In einem ländlichen, fernab liegenden Außenbezirk der Stadt Bolao in der südchinesischen Provinz Guangxi steht ein relativ neues, dreistöckiges Backsteinhaus. Es gehört Hua Chaojang. Hua ist Cobrazüchter. Im Gebäude riecht es streng und säuerlich und ein lautes Zischen ist zu vernehmen, als Christian Shepherd und Qianer Liu der FT (1. August 2020) im Schlepptau des Geschäftsmanns das Haus betreten. Hua streckt die Hand in eine der Pferche, packt den Schwanz einer Cobra und fischt sie mit ungerührter Mine heraus. Die vierjährige Cobra ist so dick wie Huas Arm und etwa zwei Meter lang. Ob er denn schon einmal gebissen worden sei. »Sicher«, antwortet er und hält dabei die Schlange mit einem Eisenhaken von seinem Körper fern. Seit zwanzig Jahren verdient der Schlangenhändler sein Auskommen mit den Cobras. Wegen des Ausbruchs von Covid-19 hat die chinesische Regierung im Februar die Zucht und den Konsum von Schlangen und anderen Zucht- und Wildtieren verboten. Tausende von Cobras sitzen seither in Huas Backsteingebäude fest, es gibt keinen Ort, wo er sie hinbefördern könnte. Freilassen geht nicht. Die Futterrationen wurden von wöchentlich fünf auf eine reduziert. Jetzt sind viele seiner Cobras am Verhungern. Sie verhalten sich sehr aggressiv und essen einander zum Teil gegenseitig auf. Für ein Kilo Cobra bekam er vor Corona auf dem Wildtiermarkt mehr etwa 7 CHF, das Geschäft war einigermaßen lukrativ. Begonnen hatte er vor zwanzig Jahren mit ein paar wenigen Gehegen. Mit der Zeit konnte er expandieren und er verlegte die Käfige aufs Land, wo die Schlangen die Nachbarn nicht mehr gefährden konnten. Hua besuchte Kurse und er wurde ein staatlich anerkannter Schlangenzüchter.

Bolao ist das Zentrum der Schlangenzucht in China. In der Region werden 70 Prozent der Schlangen, die nachgefragt werden, herangezogen. Ungefähr 37’000 Menschen sind abhängig von diesem Wirtschaftszweig. Die Branche ist stark geworden, die Methoden sind zeitgemäß und der Staat hat diese Entwicklung tatkräftig unterstützt. Leute von überall her sind in die Region Guangxi gereist, um sich die modernen Anlagen anzuschauen und darin unterweisen zu lassen, wie man sachgerecht Schlangenzucht betreiben kann. Und jetzt wird Unternehmern wie Hua vom selben Staat der Hahn zugedreht. Der angeschlossenen Restaurantbranche geht es ähnlich miserabel. Ihre Kenntnisse, wie man Schlangen so zubereiten kann, dass man sie auch genießen kann, ist plötzlich nicht mehr gefragt. Schlangen sind zwar kein alltägliches Gericht, ihr Verzehr hat doch große Beliebtheit gewonnen. Auch andere Zweige sind betroffen. Etwa die Hühnerzuchten, die bisher die männlichen Tiere den Schlangenzüchtern verkaufen konnten. Auf den Märkten mit lebenden Tieren – stammten sie aus der Zucht wie jene von Hua oder seien sie wild – hat das Geschäft floriert.

Das Angebot an Tieren hat sich in den letzten Jahren stets vergrößert. Gerade auch aufstrebende Neureiche decken sich auf den Märkten mit legalen und illegalen tierischen Substanzen, mit ausgefallenen Tierarten für den kulinarischen Genuss oder mit exotischen Haustieren ein.

Medizin

Außerdem stützt sich die chinesische Medizin auf zahlreiche Produkte aus dem Tierreich, die auf den Märkten zu finden sind. So ist die skurrile Situation entstanden, dass sich ungefähr 90 Prozent der Covid-Erkrankten in der Region Hubei mit Medikamenten und Elixieren haben kurieren lassen, die aus Tierextrakten zusammengebraut worden sind, die auf den nun wegen Covid verbotenen Märkten erstanden wurden.

Aber auch die Zuchtanlagen der Medikamentenhersteller geraten in die Defensive. In der Provinz Hubei wurden ungefähr 30’000 Patienten mit einem Impfstoff behandelt, in dem Saft von der Bärengalle enthalten ist. Damit wird mit der Zucht von Wildtieren – also potenziellen (Zwischen-)Wirten – die Gefahr näher an den Menschen gebracht, und zugleich wird diese Gefahr mit Substanzen von denselben, eventuell infizierten Tieren bekämpft. Den Herstellern von Medikamenten, die selbst züchten, wird das Leben erschwert, schreibt die FT in ihrer Reportage weiter. Einige Arzneien mit tierischen Bestandteilen hat die Gesundheitskommission schon aus der Medikamentenliste gestrichen. Allerdings ist das behördliche Vorgehen inkonsequent und nicht der Artenschutz steht im Vordergrund. Beispielsweise wurden Tierfarmen Auflagen gemacht, die Haltung tierfreundlicher zu gestalten. Das hat nicht dazu geführt, dass eine gefährdete Tierart – wie etwa jene Bären mit dem heilenden Gallensaft – komplett geschützt wurde, es wurde lediglich die Haltung modernisiert. Und manchmal wird mit spitzfindigen Gründen geschummelt. So argumentierte eine pharmazeutische Firma, sie verwende keine Wildtiere, da die Bären, die auf ihrer Farm gehalten werden, ja von Menschen gefüttert würden und das Futtermittel vom Staat komme, also seien die Bären gar keine Wildtiere. Ein US-amerikanischer Tierarzt, der sich die Bärenhaltung angeschaut hat, hegt große Bedenken. Von den Tieren können sehr leicht Erreger auf den Menschen übertragen werden, diese mögliche Zoonose sei sehr gefährlich und kaum zu kontrollieren.

Maßnahmen

So stellt sich die Frage, ob diese Pandemie die chinesischen Behörden zur Überzeugung bringt, tierische Produkte in Medikamenten, die das Risiko einer Zoonose in sich bergen, verbieten wird, um eine neue Pandemie mit neuen, unbekannten Erregern und nicht absehbaren Folgen zu verhindern. Die jetzige Regelung schränkt lediglich den Konsum einzelner Bestandteile ein. Das Virus kümmert sich aber nicht um legale oder illegale Zucht, nicht um veraltete oder moderne Anlagen, nicht um Schwarzhandel, es interessiert sich nicht für Artenschutz, für Medizin, für Medikamentenlisten oder für Nahrungsmittel, oder ob sein Wirt ein Nutztier oder ein Haustier ist.

Das zuständige Ministerium hat fast die gesamte Lebendtiermarktbranche für die »Zeit der Pandemie« abgewürgt. Der Huanan-Großmarkt ist heute noch weitgehend geschlossen. Allerdings sind auf einigen Märkten legale Verkäufe erlaubt. Auch lebende Tiere, wie etwa bestimmte Frösche, oder tierische Produkte, wie etwa Antilopenpenisse und Geweihe, dürfen gehandelt werden. Die meisten Substanzen werden für medizinische Zwecke verwendet.

Einige Lebendtiermärkte sind in den Untergrund und die Illegalität abgetaucht. Im Süden Pekings wurde im Juni 2020 im Umkreis eines unerlaubten Großhandelsplatzes für frisches Gemüse, Fleisch und Fisch ein SARS-CoV-2-Cluster bekannt. Über dreihundert Fälle wurden diagnostiziert. Da etliche Chinesen frische Lebensmittel den gefrorenen vorziehen, wagen sie sich auch auf illegale Umschlagplätze. Immer wieder werden solche Märkte von der Polizei ausgehoben. Auch hier geht es um die berufliche Existenz von Tausenden von Menschen, denen von einem Tag auf den anderen die wirtschaftliche Grundlage entzogen wurde. Die Nachfrage nach tierischen Lebensmitteln versiegt nicht, ebenfalls nicht jene nach Haus- und Nutztieren. Vor allem die wachsende Mittelschicht will sich mit solchen »Produkten« eindecken. Und wo eine Nachfrage besteht, entwickelt sich ein Angebot, auch wenn der Tausch im Verborgenen bleiben muss. Diese Regel gilt auch im Kommunismus chinesischer Prägung.

Die volkswirtschaftlichen Auswirkungen der Schließung der Märkte sind weitreichend. 2016 betrug gemäß FT der Umsatz der Lebendtiermärkte und der Restaurants, in denen Wildtiere konsumiert wurden, umgerechnet geschätzte 16 Mia. CHF. Nun ist das Geschäft fast komplett eingebrochen. Die NZZ beziffert den Gesamtumsatz mit Wildtieren inklusive Zucht etc. auf 73 Mia. CHF, sie bezieht sich auf Zahlen der Chinese Academy of Engineering. Ref. 14 Millionen Chinesen sind in der Branche beteiligt. Die Regierung versprach Kompensationszahlungen, die sind allerdings bis jetzt ausgeblieben. Die Petitionen betroffener Züchter blieben unbeantwortet. Auch Hua braucht Geld für das Futter und seine Angestellten, er leiht es sich aus. Nur, wie lange kann er das durchhalten? Etwas anderes als die Schlangenzucht kann und kennt er nicht.

Sowohl die Zucht als auch der Handel, die Verarbeitung (zum Beispiel bei der Zubereitung von Gerichten) und der Konsum sind also mit Risiken für Zoonosen behaftet. Im Huanan-Großmarkt in Wuhan konnten laut FAZ Ref.  in 33 von 585 Materialproben Coronaviren nachgewiesen werden. Die chinesischen Behörden würde die Welt gerne glauben machen, dass diese in Tiefkühlprodukten aus dem Ausland eingeschleppt worden sind. Hierfür fehlen allerdings die Beweise. Der norwegische Lachs, der einmal als Quelle genannt wurde, war es nicht. Auch das China-WHO-Joint Team ist nach ersten Einschätzungen zum Schluss gekommen, dass diese These eher unwahrscheinlich ist (Erste Resultate des China-WHO-Joint Teams). Allerdings ist noch nicht bekannt, welche Tiere als Zwischenwirte in Frage kommen könnten. Im The Lancet Ref. wird der Epidemiologe David Heymann vom WHO-Team folgendermaßen zitiert: »Es kann Jahre dauern, den Ursprung von Viren zu finden, die den zoonotischen Sprung vom Tier zum Menschen geschafft haben.« Shi Zhengli forschte zehn Jahre, bis sie nachweisen konnte, dass das SARS-CoV von der Chinesischen Hufeisennase herkam und vermutlich über den Larvenroller als Zwischenwirt zum Menschen gelangt ist. Bei Wildtierhändlern in der südchinesischen Provinz Guangdong wurden 2003 zum ersten Mal in diesen Schleichkatzen SARS-CoV festgestellt. Beim SARS-CoV-2 glaubte man zuerst, dass Schuppentiere als Zwischenwirte fungierten, aber diese These konnte bis jetzt nicht bestätigt werden. Auf der Liste möglicher Virenzwischenwirte stehen erneut die Zibetkatzen, Larvenroller aber auch Schlangen und Tiere in Pelzfarmen (Marder, Nerze). Als Ursprungswirte stehen Fledermäuse im Zentrum.

Schon beim SARS-CoV-Ausbruch reagierte die chinesische Regierung mit Maßnahmen gegen die Märkte. Epidemiolgen, Virologen und Umweltwissenschaftler unterstützten diese Bemühungen, stellten sie doch seit langem etliche fragwürdige Praktiken im Umgang mit den Tieren fest. 2003 wurde eine Liste mit 54 Tierarten veröffentlicht, die weiterhin gezüchtet werden dürfen. Dieses Gesetz wurde 2018 überarbeitet. Die neue Novelle hielt jedoch viele Schlupflöcher offen, weil nicht die Zucht unterbunden wurde, sondern nur die Bedingungen der Haltung geändert wurden. Man versuchte mit Lizenzen, Gesundheitsvorschriften und Quoten den Markt strenger zu regulieren. Nach dem 2020er-Ausbruch drängten westliche Regierungen China noch stärker dazu, die Lebendtiermärkte besser zu kontrollieren oder gleich abzuschaffen. Internationale Organisationen und Verbände haben die Sensibilisierung für tierschützerische Belange tatkräftig unterstützt.

Dabei stehen die Behörden aber von verschiedenen Seiten unter Druck. Sie werden sowohl mit einheimischen Anfragen eingedeckt, welche Tiere nun wie, wann und wo vielleicht doch noch gezüchtet und gehandelt werden können, andererseits pochen politische Kreise und Tierorganisationen darauf, die Ausrottung von seltenen Tieren endlich zu unterbinden. Die letztere Haltung hat eine höhere Priorität im Behördenapparat erlangt. Selbst Staatspräsident Xi Jinping lässt verlauten, dass es »entschieden und hart gegen illegale Märkte und Handel mit lebenden Wildtieren vorzugehen und Risiken für die öffentliche Gesundheit von der Quelle her zu kontrollieren« gilt.

Man sucht den Ausgleich zwischen den Traditionalisten und den Fortschrittlichen, die den Tierschutz entdeckt haben, zu erreichen, sagt ein hoher Beamter gegenüber der FT. So wurde das Schuppentier unter Schutz gestellt, nachdem es praktisch völlig verschwunden war. Tierschützer hegen zudem die Hoffnung, dass ihre Anliegen wegen Covid-19 auch von staatlicher Seite stärker berücksichtigt werden. Aber das wird noch dauern, meinen die Experten.

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John Zarocosta, WHO team begins COVID-19 origin investigationThe Lancet, 6. Februar 2021

Frederike Böge, Der Ausbruch des Coronavirus hängt wohl mit dem lukrativen Wildtierhandel in China zusammen. Es ist ein Milliardengeschäft. Auch das Sars-Virus trat 2002 zuerst bei Händlern von Wildtieren aufFAZ, 7. Februar 2020

Matthias Müller, Bambusratten, Schuppentiere und Zibetkatzen sollen von den chinesischen Tellern verschwindenNZZ, 25. Februar 2020

David Foster Wallace, Am Beispiel des Hummers, in: ders., Der Spass an der Sache, Köln 2018

SZ, 9./10. Januar 2021

Virus

FT, 1. August 2020

Der Pandemieplan Schweiz, in der aktuellen Fassung der Influenza-Pandemieplan Schweiz 2018, ist ein Planungsinstrument, das Strategien und Massnahmen zur Vorbereitung der Schweiz auf eine (Influenza-)Pandemie dokumentiert. Er wird von der Eidgenössischen Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP) und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) herausgegeben.

Der erste Pandemieplan für die Schweiz wurde von einer Arbeitsgruppe unter Leitung von Robert Steffen ausgearbeitet. Die Vorarbeiten wurden 1995 begonnen; der erste schweizerische Influenza-Pandemieplan wurde im Jahr 2004 veröffentlicht. Ein zentrales Anliegen sei laut Steffen dabei gewesen, dem Bund die Führung zu überlassen.

Nach den Erfahrungen in der Bewältigung der Influenza-Pandemie 2009 wurde der Schweizer Pandemieplan vollständig revidiert.

Kristian G. Andersen et al, The proximal origin of SARS-CoV-2, 

(abgerufen am 2.5.2020)

FT, 1. August 2020