Reizbares Klima (4)

Romanfragment, 4. Kapitel: Paris (Nat)
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Nat erinnert sich an die Anfänge des Kabelprojekts.

(Über den Link Reizbares Klima können alle Folgen des Romanfragments aufgerufen werden)

Paris, März 1897

Nat

»Monsieur Adams, ich empfehle mich«, sagte der Doktor und verschwand.

Nat plumpste ausgepumpt in den Sessel, zog aber vorher noch an der Kordel. Als Marie in der Tür erschien, sagte er ihr, dass er für einen kleinen Spaziergang nach draußen gehe und er nachher gerne eine Suppe äße. Sämtliche Termine für den Tag seien zu streichen, die Soirée fände statt, aber ohne ihn, die Leute seien ja schließlich schon eingeladen und die Musiker aufgeboten und bezahlt worden. Und der Madame solle sie bitte ausrichten, dass sie sich nicht bekümmern müsse, aber er brauche nun, wie der Arzt gesagt habe, Ruhe und wünsche deshalb, niemanden zu sehen.

Wieder saß er für eine unbestimmte Zeit in seinem Sessel, unfähig sich anzuziehen und seinen Spaziergang in Angriff zu nehmen. Marie zog ihn aus seinem Dämmerzustand heraus, als sie ihm eine Suppe, Wein, eine Karaffe und eine Zeitung brachte.

»Marie, stellen sie den Teller und den Wein bitte auf den Beistelltisch. – Ähm, wofür ist dieses Glasding gedacht?«

»Hier können Sie Wasser lösen, Monsieur, dann müssen Sie nicht auf Toilette gehen.«

»Ich bin doch nicht in einem Hospital.«

»Wenn ich an heute Morgen denke…«

»Ach, das war eine Ausnahme, ich bitte Sie.«

»Übrigens Madame ist zurück. Sie ist besorgt und lässt fragen, ob sie Ihnen behilflich sein kann. Sie sollten sie empfangen.«

»Ich mag jetzt nicht. Richten Sie ihr aus, dass wir uns morgen zum Frühstück treffen.«

»Monsieur, wenn ich mir eine Bemerkung erlauben…«

»Marie, Sie dürfen sich keine Bemerkung mehr erlauben, eine pro Tag reicht. Ich weiß, was ich zu tun und was zu lassen habe.«

»Aber…«

»Kein aber, haben Sie verstanden? Sie können jetzt gehen.«

 

Nat dachte kurz darüber nach, wie es zu dieser Situation hatte kommen können. Er wäre nicht in dieser Verfassung, hätte er nicht eingewilligt, Hawaii zu verlassen. Wegen Susans Lungen und Launen waren sie nach Paris gezogen. Und jetzt sind sie in der Großstadt.

Zwar wollte er mit dem Wechsel nach Frankreich nicht nur seiner Frau einen Gefallen erweisen, er wollte auch den Töchtern europäische Bildung, Manieren und Lebenskunst angedeihen und sie in gediegene Adelshäuser einheiraten lassen, in die sie einen stattlichen Geldbetrag einbringen konnten. Schließlich hatte auch er mit einer rationalen Tat, nämlich der Wahl seiner Gattin, den Grundstein für seinen Reichtum gelegt. Gerade weil er wegen Susans geistigem und körperlichem Wohlbefinden nach Europa gezogen war und jetzt jedoch er es war, der begann, gesundheitlich zu schwächeln, haderte Nat etwas.

Er erinnerte sich an die Anfänge seines Kabelprojekts zurück. Zu Beginn klang alles viel einfacher, als es denn werden sollte. Es lief sehr gut an für ihn. Noch in Kaui und noch vor dem Verkauf seiner Plantage gründete er die Pazifik-Kabel-Gesellschaft. Haupteigner war er selbst. Zudem trommelte er noch ein paar Geschäftsfreunde zusammen, die kleinere Anteile erwarben. Von der Regierung in Hawaii bekam er wie erhofft eine bis 1897 befristete Konzession für die Verkabelung mit dem amerikanischen Festland. Das Wissen über das Kabelgeschäft sicherte er sich, indem er sich mit einer dänischen Firma zusammenschloss, die in Europa schon mehrere Meereskabel verlegt hatte. Unter anderem vom Kontinent nach Großbritannien.

Aber dann fuhr ihm die amerikanische Politik in die Parade. Klar, er hatte im Kongress einen Namen, man kannte ihn. Nicht nur seines Vaters wegen. Man hatte sehr wohl bemerkt, dass er ein erfolgreicher Kaufmann und rühmenswerter Soldat war. Man schätzte seinen Einsatz auf Hawaii und honorierte seine Verdienste mit einem Orden. Aber es gab auch auf dem amerikanischen Festland Kabelfirmen, die sich für eine Leitung nach Hawaii beziehungsweise Japan interessierten. Sie hatten ihre Hauptsitze in New York und in Washington, also mitten im Zentrum des Geldes, der Macht und der politischen Instanzen der Machtverteilung. Es herrschte die Meinung vor, dass über die Vergabe der Konzession für eine solch wichtige Technik nicht leichtfertig entschieden werden sollte. Nat schlug seine Zelte eine Zeitlang in Washington auf und setzte sich mit Haut und Haar für sein Projekt ein. Er wirbelte wie ein Derwisch durch sämtliche Räume des Establishments. Er erinnerte sich an Gespräche in Hinterzimmern des Repräsentantenhauses. Es floss viel Bourbon und aus den Zigarren stieß der Rauch aus wie aus Fabrikschloten. Seine Pazifik-Kabel-Firma war in aller Munde. Andere Firmenbosse begannen, Nat zu umgarnen, machten verlockende Angebote, da er über die Konzession für Hawaii verfügte. Aber er wollte das Geschäft mit seiner eigenen Firma abwickeln. Sein Kalkül war, dass ihm die Bewilligung für den Kabelbau nach Japan ohne Probleme zugesprochen würde, sobald er jene von San Franzisko nach Hawaii in den Händen hielt. Also reiste er auch noch kurz nach Sacramento und San Franzisko. Er war seinen Konkurrenten stets einen Schritt voraus.

Als dann aber ein Aufschrei der Empörung durch den Kongress ging, da es hieß, Nat wolle mit einer europäischen Firma zusammenspannen, wurde die Situation kompliziert. Eine Lösung musste her, denn man schrieb bereits das Jahr 1896 und er hatte noch ein knappes Jahr Zeit, bevor die Laufzeit seiner Bewilligung für Hawaii auslief. Aber der Kongress tat sich schwer, im zuständigen Ausschuss steckte man in einer Sackgasse, ein paar bornierte Nationalisten und naive Technikfeinde verweigerten die Zustimmung. Obwohl er ständig unterwegs war, gab es keine Bewegung in der Sache. Da konnte Nat noch so viel Bourbon einschenken, noch so viele Zigarren auffahren, noch so viele Klinken putzen. Es war zermürbend. Notgedrungen streckte er seine Fühler aus, um vielleicht doch noch eine amerikanische Firma in sein Boot zu holen. Und sei es nur zu Alibizwecken. Tatsächlich bekundete ein kleineres Technikunternehmen in New York, das in der Übermittlungsbranche tätig war, großes Interesse an einer Zusammenarbeit. Kurz bevor er Ende Februar nach Paris zurückreiste, waren schon erste ernsthafte und fruchtbare Gespräche geführt worden, eigentlich fehlte nur noch eine Unterschrift. Nat hatte voller Zuversicht das Schiff bestiegen, er war sich sicher, dass seine dänischen Partner mit diesem Vorgehen einverstanden waren. Mit diesem Schritt hoffte er, die Politiker und Bürokraten besänftigen zu können.

Das ewige Hin und Her zwischen Hawaii, Sacramento, New York, Washington, Kopenhagen und Paris war sehr kräftezehrend. Insofern, so dachte er, erstaunte es nicht, was diese Nacht passierte. Er war in der Tat so erschöpft, wie er das noch nie erlebte. Dummerweise war dies der Lösung des Problems alles andere als förderlich. Die notwendige Reiserei von einem Weltende zum anderen, war sicherlich zu viel, aber was hätte er sonst tun können? Zudem waren die Vorzüge, die die moderne Schifffahrt und die Expresszüge boten, zu verlockend, um ungenutzt zu bleiben. Seine Devise lautete: »Die Züge und die Schiffe fahren sowieso, da kann ich gerade so gut mitfahren.« Noch nie konnte man so schnell den Atlantik passieren oder Kontinente durchqueren, neue Horizonte taten sich auf, die Welt war kleiner geworden, Paris lediglich ein paar Tage von New York oder Washington entfernt. Westentaschenformat. Sich eine gewisse Weltläufigkeit anzueignen, entsprach in seinen Kreisen sowieso dem Zeitgeist. Vermutlich, so spekulierte er, war dies erst der Anfang einer sich immer schneller entwickelnden Epoche. Sie standen an der Schwelle einer Zeitenwende. Und er war gerade dabei, diese Schwelle mit seinem Projekt tatkräftig zu überschreiten, die Zeit zu beschleunigen, gewissermaßen ein neues, noch unbekanntes Land zu betreten und zu erforschen. An Geld und Macht, diese neue Welt in Besitz zu nehmen, mangelte es ihm nicht. An Ehrgeiz und Willen ohnehin nicht. Zurzeit fehlte lediglich die Kraft, dachte er sich.

Fortsetzung hier.
Hier geht’s zum 1. Kapitel des Romanfragments.

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Kristian G. Andersen et al, The proximal origin of SARS-CoV-2, 

(abgerufen am 2.5.2020)