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Neutralität in der Bredouille
Der Kater: Über die gereizte Stimmung in der Neutralitätsdebatte.
20. September 2023
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Ausgangslage
Der Biologe und Zoologe Peter Daszak sucht bereits seit über dreißig Jahren nach Ursachen und Ursprüngen von Pandemien. Handle es sich dabei um Pilze, Bakterien oder Viren, Daszak folgt den Spuren von Krankheitserregern in allen erdenklichen Erdteilen. Sobald der Träger eines solchen gefunden ist, wird seine natürliche Umgebung erkundet. In Laboruntersuchungen werden sodann die Eigenschaften spezifiziert. Die gewonnenen Erkenntnisse werden schließlich in die Prävention und Bekämpfung von Epidemien und Pandemien integriert. Seit über einem Jahrzehnt ist Daszak zudem einer der führenden Wissenschaftler, der über zoonotische Übertragungen von Coronaviren forscht. Da er selbst kein Mikrobiologe ist und die Laboruntersuchungen an Viren nicht selbst durchführen kann, arbeitet er mit verschiedenen Institutionen auf der ganzen Welt zusammen, die über das notwendige Knowhow und die Apparaturen verfügen. Unter anderem auch mit den in die Schlagzeilen gekommenen Laboren des Wuhan Institute of Virology (WIV) und der University of North Carolina in Chapel Hill. Daszak wird von verschiedenen Seiten vorgeworfen, er habe Forschungsarbeiten initiiert, betrieben und unterstützt, in denen das Sars-2-Virus entstanden, wenn nicht gar willentlich zusammengebaut worden sei. Der Erreger sei dann durch einen Laborunfall freigesetzt worden. Aus verschiedenen Quellen wird hier versucht, die Rolle des anerkannten, umstrittenen, angefeindeten, mit Todesdrohungen konfrontierten, engagierten, bestens vernetzten und bestens informierten Forschers zu beleuchten.
Was bisher geschah
Ab 2001, so Stephanie Lahrtz in der NZZ, ging Daszak für die US-amerikanische Umweltschutzorganisation The Wildlife Trust auf Virenjagd in Asien, Australien und Afrika. Unterstützt wurden seine Projekte von verschiedenen privaten und staatlichen Institutionen wie etwa dem National Institute of Health (NIH), dessen Unterabteilung National Institute of Allergy and Infectious Disease (NIAID), der US-Behörde für Entwicklungszusammenarbeit USAID (beispielsweise vom sogenannten PREDICT-Programm), der Google- und der Gates-Stiftung.
Aus dem Wildlife Trust wurde 2010 die EcoHealth Alliance (EHA) mit Sitz in New York, eine NGO, die sich zum Ziel gesetzt hat, Infektionskrankheiten zu erforschen. Lahrtz schreibt, dass der EcoHealth-Leiter Daszak in den letzten Jahren jeweils durchschnittlich 15 Millionen USD jährlich für seine Forschungsprojekte zugesprochen bekommen habe. Teile davon gingen an die oben erwähnten Partner in North Carolina und China (Geldfluss ans WIV). Die EcoHealth zählte 2020 33 Wissenschaftlerinnen und 17 weitere Mitarbeiter und setzte zirka 11 Millionen USD um. Sie war in 41 Ländern tätig und hat laut eigenen Angaben ungefähr 1000 Virusarten entdeckt.
Nach dem Ausbruch von Sars-1 2002/2003 in China konzentrierte sich Daszak vermehrt auf die Erforschung von Coronaviren. Dies brachte ihn fast zwangsläufig zur Wuhaner Virenforscherin Shi Zhengli vom WIV, die international eine der führenden Wissenschaftlerinnen auf diesem Gebiet ist. Auch Shi rutschte im Zusammenhang mit der Erforschung des Sars-1-Ausbruchs in die Coronavirenforschung (Besuch bei Shi Zhengli). Das Duo Shi/Daszak kooperiert seit 2006 und hat – meist mit weiteren Wissenschaftlerinnen – bisher 18 Studien in Fachzeitschriften veröffentlicht. Shi/Daszak konnten etwa in einer Hufeisennase die Herkunft von Sars-Cov-1 in einer Höhle in Yunnan nachweisen (Nature, 30.10.2013). Fortan gerieten Fledermäuse, insbesondere Hufeisennasen, als Wirte gefährlicher Krankheiten noch intensiver unter Beobachtung. EcoHealth war bei vielen Projekten federführend.
In zahlreichen Untersuchungen wurden mit Gewebeproben von Viren aus – unter anderem – der umfangreichen Sammlung des WIV wiederholt Experimente durchgeführt, in denen Wirkstoffe gegen Erreger getestet werden konnten. Für solcherlei Forschung wurde das Labor von Ralph S. Baric in Chapel Hill der University of North Carolina (UNC) bekannt. Aber auch am WIV selbst fanden solche Untersuchungen und Experimente statt, häufig unterstützt mit Geldern des NIH.
In die Schlagzeilen gerieten einige Forschungsvorhaben, die Manipulationen in der Genstruktur von Viren, auch Coronaviren, beinhalteten. Hier eine kleine Liste von Projekten und Programmen, in die EcoHealth involviert ist:
Forschungspolitik und die Behörden
In all den aufgezählten Vorhaben mit ihren Teilstudien, Experimenten, Laborversuchen, angewendeten Methoden etc. sind keine Beweise zu finden, dass das Sars-CoV-2 in einem Labor zusammengebaut worden ist. Mitnichten. Es zeigt aber, in welchem Umfeld – neben der eigentlichen Feldarbeit – die Virenforschung, die von Peter Daszak und der EcoHealth initiiert wird, auch noch stattfindet. Und welche Interessen die Geldgeber, wie beispielsweise das Pentagon, aber auch die Kritiker, verfolgen könnten. Auch Missgunst kann dabei eine Rolle spielen. Auch wenn die (teilweise vermeintlichen) Erkenntnisse und Verdächtigungen aus den DRASTIC- und Intercept-Enthüllungen keinen Laborausbruch beweisen können, so legen sie immerhin ungeklärte Fragen in der Forschungspolitik und der Forschungspraxis offen. The Intercept urteilt: »Die Dokumente werfen ernste Fragen über die biologische Sicherheit und die Aufsicht bei der NIH auf.« In erster Linie dreht es sich also um Behördenkritik. Über Sicherheitsfragen in den Laboren wird in wissenschaftlichen Fachkreisen seit längerem diskutiert. Dabei geht es um die Formulierungen international verbindlicher Standards und über Definitionen, ab wann Experimente gefährlich werden.
Die Diskussionen über die Forschung und betroffenen Behörden sind ein Zeichen, dass es vermutlich an Transparenz und Informationen mangelt. In einigen von The Intercept analysierten Dokumenten wird deutlich, dass es immer wieder zu Ungereimtheiten zwischen Behörden und der Forschergemeinschaft kommt. Zuweilen werden Untersuchungsberichte zu spät oder mangelhaft abgegeben, zuweilen haken die Behörden bei Unklarheiten nicht nach, oder bei den falschen Personen.
Mit dem auf Laborsicherheit spezialisierten Molekularbiologen Richard Ebright von der Rutgers University, dem oben erwähnten Edward Holmes von der University of Sidney und dem Virologen Jesse Bloom vom Fred Hutchinson Cancer Research Center haben sich drei ernst zu nehmende Kritiker von Peter Daszak in die Diskussion gemischt, deren Kommentare nicht handstreichartig beiseite geschoben werden können. Ebright hinterfragt die Politik des NIH (inklusive NIAID) hinsichtlich der Bewilligung gefährlicher Forschung und unterstellt dem NIH-Direktor Francis Collins, dass er schlecht informiert sei und falsche Aussagen gemacht habe. Und Anthony Fauci habe sich stets gegen Bemühungen gewehrt, gain-of-function-Forschung stärker zu reglementieren. Collins und Fauci hätten wiederholt das P3CO-Rahmenwerk umgangen (independentsciencenews.org). Er fordert eine ehrliche Auseinandersetzung. Holmes bemängelt die Kommunikation von EcoHealth und Jesse Bloom, selbst von der Zoonose überzeugt, hinterfragt immer wieder die Qualität der Daten, die in Studien herangezogen werden, die den Markt in Wuhan als Ursprungsort der Pandemie ins Zentrum stellen. Klassische Methodenkritik.
Peter Daszak ist ein umtriebiger Zeitgenosse, der seine Interessen sehr dezidiert zu vertreten weiß. Vor allem auf Plattformen von sozialen Medien schreibt er pointiert, er nimmt kein Blatt vor den Mund und teilt zuweilen kräftig aus. Aber manchmal bleibt er bewusst im Hintergrund. Zum Beispiel initiierte er einen offenen Brief in The Lancet, in dem die Zoonose als Ursache benannt und einen Laborausbruch als Verschwörungsmythos dargestellt wird: »Wir verurteilen auf das Schärfste die Verschwörungstheorien, die besagen, dass COVID-19 keinen natürlichen Ursprung hat.« (The Lancet, 19. Februar 2020). Aber als Ansprechperson für diesen Brief wird jemand anderer aufgeführt. Zudem soll er den Molekularbiologen Ralph Baric in einem Mail angehalten haben, das Schreiben nicht zu unterzeichnen, »dies bringt eine gewisse Distanz zwischen uns beiden und wirkt daher nicht kontraproduktiv« (zitiert in Vanity Fair).
Auch seine Berufung zum Mitglied des WHO-Teams, das die Ursache der Pandemie erkunden sollte, bleibt fragwürdig. Er selbst war in einem Gremium, dass das WIV unter die Lupe nehmen musste, wohlgemerkt einer Institution, mit der er selbst schon zahlreiche Projekte durchgeführt und diese auch finanziert hatte. Unabhängigkeit sieht anders aus.
Die Rolle von Peter Daszak ist delikat, die Situation, in der er sich befindet, diffizil. Einerseits ist er dank seiner Tätigkeit wohl einer der am besten informierten Fachkräfte hinsichtlich der Forschung der Entstehung von Infektionen, insbesondere der Gefahren, die von Coronaviren ausgehen. Daszak hat vertiefte Einblicke in die vielfältigsten Bereiche der Virenforschung. Andererseits wiegt die Verantwortung, die er gerade wegen seines Insiderwissens trägt, doppelt schwer. Falls sich nämlich herausstellen sollte, dass er es vielleicht das eine oder andere Mal nicht so genau mit dem Wahrheitsgehalt einer Aussage genommen hat, oder dass er vielleicht mal etwas verschwiegen oder unterschlagen hat, wird’s problematisch. Hinsichtlich Transparenz ist er schon auf Abwege geraten. Gerade aber Transparenz hülfe enorm. Im Science-Interview rechtfertigt sich Daszak, er habe sich stets an die Regeln gehalten. Man publiziere aber grundsätzlich keine Informationen aus Projekten, die abgelehnt worden sind (DAPRA-Antrag), also habe er auch nichts verschwiegen. Seine Zusammenarbeit mit Shi Zhengli habe er nie verheimlicht, Forschungsberichte seien immer im Namen beider publiziert worden. Allerdings, so räumt er ein, sei die Zusage für seine Tätigkeit im WHO-Team wohl ein Fehler gewesen. Aber, so gibt er selbstbewusst zu Protokoll, sei er darüber, was in China in Sachen Forschung an Coronaviren passiert, ausgesprochen gut informiert.
Apropos Transparenz: sie ist gut und wichtig, aber – darauf weisen neben Daszak auch zahlreiche weitere Forscherinnen hin – es wäre ungleich wichtiger, wenn die chinesischen Behörden diesbezüglich noch erheblich zulegen würden. Das wäre wohl entscheidend. Beispielsweise hülfe es enorm, wenn Laborjournale eingesehen oder Patientendossiers zugänglich gemacht werden könnten.
Lahrtz schließt in der NZZ: »Daszak könnte zwar die Schlüsselrolle bei der Wahrheitsfindung spielen – aber nur solange er als absolut glaubwürdig gilt.«
Verwendete Quellen:
Der Spiegel, 25. September 2021, Veronika Hackenbroch, Alexander Sarovic; independentsciencenews.org, 20. Dezember 2020, 8. Juni 2021, Jorge Casesmeiro Roger ; NZZ, 14. Oktober 2021; 20. November 2021, Stephanie Lahrtz; Science, 27. Oktober, 2021, Jocelyn Kaiser; 17. November 2021, Jon Cohen; Süddeutsche Zeitung, 9. Februar 2022, Interview mit Christian Drosten; textvitrine.ch, verschiedene Beiträge (Laborthese); The Intercept, 10. März 2022, Sharon Lerner, Mara Hvistendahl; 10. September 2021, Sharon Lerner, Mara Hvistendahl, Maia Hibbett; The Washington Post, Glenn Kessler (Fact Checker), 29. Oktober 2021; Vanity Fair, 22. März 2022, Katherine Eban
Hier geht’s zu den wichtigsten Aussagen von Peter Daszak aus dem Intercept-Interview.
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Das NIH schlägt vor, den Begriff gain-of-function in diesem Zusammenhang zu vermeiden, da er in der Öffentlichkeit zu unterschiedlich gebraucht würde, was zu Missverständnissen führe. Die Behörde regt an, bei Forschungsvorhaben, die ein Virus tatsächlich gefährlicher machen, den Begriff ePPP zu verwenden.
Die Obama-Administration hat im Oktober 2014 ein Verbot für die öffentliche Unterstützung für die gain-of-function-Forschung erlassen. Allerdings wurde ein sogenannter P3CO-Rahmen festgelegt (Potential Pandemie Pathogen Care and Oversight). Gefährliche Forschung (oder: enhanced Pathogen of Pandemic Potential: ePPP) wird nicht grundsätzlich verboten, unterliegt aber einer strengen Prüfung.
Die Befürworter von gain-of-function-Experimenten argumentierten, dass sie der virologischen Forschung helfen können, natürliche Ausbrüche besser zu verstehen und abzuwehren. Kritikerinnen halten sie für unangemessen und gefährlich. Es gibt sowohl unter Forschern als auch in den unterstützenden Institutionen Meinungsunterschiede, ab wann ein gain-of-function-Experiment wirklich gefährlich(er) wird. Dies zeigt das Beispiel in Wuhan, wo Mäuse mit einem chimären Virus angesteckt wurden. Hinsichtlich des Begriffs gain-of-function präzisiert Christian Drosten im Magazin Cicero (9. Februar 2022) schriftlich: »Biologisch betrachtet führen gain-of-function-Experimente in der Regel nicht zu einer Erhöhung der Pathogenität oder Übertragbarkeit. Erfahrungsgemäß sind gentechnisch veränderte Organismen in ihrer Gefährlichkeit gegenüber den natürlich vorkommenden Viren abgeschwächt.« Im Umkehrschluss heißt das: erst wenn ein gain-of-function-Experiment ein Virus pathogener und/oder ansteckender macht, wird das Experiment gefährlich. »Gefährlich« und »gain-of-function« sind keine Synonyme. Wegen der Begriffsungenauigkeit kommt es aber immer wieder zu Diskussionen, ob die Regeln eingehalten worden sind.
Gemäss Rechnungen von Shi Zhengli waren es insgesamt 2,1 Mio USD, die zwischen 2014 und 2019 vom NIH und der USAID ans Wuhaner Institut flossen (Vanity Fair, 3.6.2021)
Der Pandemieplan Schweiz, in der aktuellen Fassung der Influenza-Pandemieplan Schweiz 2018, ist ein Planungsinstrument, das Strategien und Massnahmen zur Vorbereitung der Schweiz auf eine (Influenza-)Pandemie dokumentiert. Er wird von der Eidgenössischen Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP) und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) herausgegeben.
Der erste Pandemieplan für die Schweiz wurde von einer Arbeitsgruppe unter Leitung von Robert Steffen ausgearbeitet. Die Vorarbeiten wurden 1995 begonnen; der erste schweizerische Influenza-Pandemieplan wurde im Jahr 2004 veröffentlicht. Ein zentrales Anliegen sei laut Steffen dabei gewesen, dem Bund die Führung zu überlassen.
Nach den Erfahrungen in der Bewältigung der Influenza-Pandemie 2009 wurde der Schweizer Pandemieplan vollständig revidiert.
Kristian G. Andersen et al, The proximal origin of SARS-CoV-2,
(abgerufen am 2.5.2020)