(Hier geht es zu den bisherigen Artikeln zur Laborthese in der Textvitrine sowie zu Teil 1 des Updates)
Stephanie Lahrtz versucht, eine für Laien verständliche Erklärung zu liefern, wie die auch in der Textvitrine schon viel zitierte, virologisch aber noch genauer zu untersuchende Furin-Spaltstelle funktioniert und wofür, beziehungsweise wem sie besonders gut nützt. Zuerst ein Zitat, wo die Furin-Spaltstellen vorkommt und was sie tut. Sie sei eine Erfindung der Natur: »Diverse körpereigene Proteine wie zum Beispiel manche Wachstumsfaktoren haben sie. Die Spaltstellen sind das Signal für körpereigene Scheren, sogenannte Furin-Proteasen, an dieser Stelle das Protein zu schneiden und dadurch zu aktivieren.« Damit diese Schere also nicht wahllos irgendwo drauflosschneidet, ist im Sars-CoV-2 jene Stelle, wo geschnitten werden soll, mit vier speziellen Bausteinen in der Aminosäurekette gekennzeichnet. Lahrtz vergleicht dies mit einem Formular: »Bitte hier abtrennen.« Die Stelle, an der die Aminosäure geschnitten werden soll, wird gewissermaßen perforiert. Diese vier markierenden Bausteine müssen in einer bestimmten Reihenfolge angeordnet sein. Am Anfang und am Ende der Stelle muss der Baustein R sein. Dazwischen können die beiden Elemente als X bezeichnet werden. So ergibt sich eine Grundformel R-X-X-R (X kann variieren). Solche Kombinationen können sich in der Natur auch spontan entwickeln. Wenn sich das Virus an eine – beispielsweise – menschliche Zelle angedockt hat, zerschneidet die Schere die Aminosäure genau an jener Stelle mit dem R-X-X-R-Motiv. Der abgeschnittene Teil knickt ab und dringt in die zu befallende Zelle ein. Sobald also in der Aminosäure von Viren dieses R-X-X-R-Motiv auftaucht, heißt das, sie haben ein effizientes Instrument, um Zellen zu infizieren. Influenza-, Ebola-, Zika- und manche Coronaviren verfügen über diese Spaltstelle.
In der Natur gibt es verschiedene Arten von X-Bausteinen. Deshalb gibt es auch verschiedene Furin-Spaltstellen. Jene von Sars-CoV-2 lautet: R-R-A-R. Sie hat man aber in der Natur noch nicht gefunden, auch nicht bei nahen Verwandten.
Genau hier setzt eine Variante der Labortheorie an: Das R-X-X-R-Motiv wurde im Labor hergestellt und in ein bereits bestehendes Coronvirus eingepflanzt. Oder es sei bei Tierexperimenten gezüchtet beziehungsweise entwickelt worden.
Allerdings muss berücksichtigt werden, dass in der Natur solche Spaltstellen ohne helfende menschliche Hand andauernd neu entstehen. Oftmals kommt es auch zum Austausch von Abschnitten aus dem Erbgut verschiedener Viren. Und dabei können ursprünglich harmlose Viren plötzlich hoch gefährlich werden, wie das etwa beim Vogelgrippevirus passiert ist. Coronaviren weisen ähnliche Strukturen auf wie das Vogelgrippevirus. Es kann also davon ausgegangen werden, dass das R-X-X-R-Motiv auch im Sars-CoV-2 auf natürliche Weise entstanden ist.
Teams um Christian Drosten und Felix Drexler von der Charité in Berlin haben in Kot von Fledermäusen in Europa Vorläufer dieses Motivs gefunden. In einer Probe fehlte lediglich der erste R-Baustein, der Rest war gleich. In Abstrichen aus Spanien fand sich (fehlt)-R-A-R, in Bulgarien: (fehlt)-R-L-R. Drosten sagt, es fehle nur eine Mutation, um eine ähnliche Spaltstelle wie bei Sars-CoV-2 zu erhalten. Man »kann sich durchaus darauf einstellen, dass so etwas in der Natur passiert«, sagt Drosten gegenüber der SZ. Man müsse es halt nur noch finden…
Es gibt zwei Möglichkeiten, wo diese Spalte entstanden ist: Entweder in der Fledermaus selbst oder auf einem Zwischenwirt. Bisher sind in Säugetieren, die den Viren als Zwischenwirte dienen, noch keine direkten Vorfahren von Sars-CoV-2 entdeckt worden. Was wiederum von den Labortheoretikern ins Feld geführt wird. Zoonotiker hoffen und zählen darauf, dass das noch geschehen wird.
Ungünstig ist die Tatsache, dass die Tiere, die auf dem Huanan-Markt angeboten und verkauft wurden und zuoberst auf der Liste der verdächtigen Sars-CoV-2-Träger stehen, bis Anfang Januar 2020 alle getötet worden sind. Detaillierte Analysen der gelieferten Tiere liegen nicht vor. Es wurde ja bekannt, dass auf dem Markt auch illegal Tiere gehandelt wurden. Das heißt, diese wurden in keiner Art und Weise kontrolliert, geschweige denn analysiert. Es könnte sein, dass das »schuldige« Tier sehr wohl existierte, Betonung auf -te. Nach dem Ausbruch von Sars-CoV-1 2002 habe man relativ rasch und mit etwas Glück die Zibetkatze als Trägerin des Virus identifizieren können, ein zweiter Zwischenwirt war der Larvenroller. Zudem seien damals, im Gegensatz zu 2020, nicht großräumig Tiere gekeult worden. Lahrtz folgert daraus: Das Fehlen eines Beweises ist nicht der Beweis des Fehlens. Das wiederholte Aufwärmen von alten Spekulationen und Vertuschungsanschuldigungen (zielt sie damit auch auf ihren NZZ-Kollegen Marcel Gyr?) ändere nichts daran, dass weder für die eine noch die andere Seite der schlüssige Beweis vorliegt.
Zum Schluss ein längeres Zitat: »Prinzipiell möglich ist somit nach wie vor ein Laborunfall oder eine Zoonose als Ursprung der Pandemie. Die Frage ist letztlich, welcher Seite man mehr Glauben schenkt. Die große Mehrheit der Genetiker und Virenexperten hält eine Zoonose für wahrscheinlicher.«
Hier geht’s zu Teil 5 und zur Synthese.