Laborthese, die ∞.

Die Saaremaa-Papiere
Es gibt neue Entwicklungen zur Plausibilität der Laborthese. Aus Laienwarte stellen sich hierbei Fragen, die mangels naturwissenschaftlicher Kenntnisse ungelöst bleiben. Ein Versuch einer Annäherung.
Alles echt, oder?
Alles künstlich, oder?

Saaremaa

Die beschauliche Insel Saaremaa liegt westlich des estnischen Festlands. Sie ist das größte Eiland des nördlichsten baltischen Staates und die viertgrößte der Ostsee. Der meist flache Küstenstreifen wird von ein paar Steilküsten unterbrochen, Wälder und Seen bestimmen das Inselinnere. Nennenswerte Anhöhen gibt es nicht. Die Bewohnerinnen und -bewohner durchlebten das im Baltikum schrecklich-übliche Schicksal, im 20. Jahrhundert vom Zarenreich und dessen Nachfolgerin der kommunistischen Sowjetunion, später vom nationalsozialistischen Deutschen Reich und hinterher wiederum von der Sowjetunion beherrscht beziehungsweise besetzt beziehungsweise unterdrückt worden zu sein. Auf der Insel war im 1. Weltkrieg eine russische Flotte stationiert und ab 1941 wurden zwei sowjetische Luftwaffenstützpunkte errichtet. Im Oktober 1944 fand eine erbitterte Schlacht zwischen den aus dem Baltikum abziehenden deutschen Truppen und den vorrückenden vermeintlichen Befreiern, aber neuen Besatzern statt. Wegen der strategisch wichtigen Lage war die Insel in der Nachkriegszeit Sperrgebiet und nur mit Genehmigung zu betreten. Nun rückt Saaremaa erneut in den Mittelpunkt, diesmal als Name eines Projekts des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND).

Ermittlungen seit 2020

Der BND geht schon seit 2020 davon aus, dass das Coronavirus wahrscheinlich im Labor in Wuhan freigesetzt worden war, er spricht von einer Wahrscheinlichkeit von 80 bis 95%. Das besagen Recherchen der Zeit, der Süddeutschen Zeitung und der Neuen Zürcher Zeitung. Unter dem Codenamen »Saaremaa« wurden zahlreiche öffentliche und geheime, auch wissenschaftliche Daten aus chinesischen Forschungseinrichtungen aufgespürt und gesammelt. Offenbar standen die Labore des Wuhan Instituts für Virologie (WIF) im Zentrum der Ermittlungen. In diesem Institut wurden bekanntermaßen zahlreiche Projekte zur Übertragung von Coronaviren durchgeführt (die Textvitrine hat wiederholt darüber berichtet, Link im Lead). Nach der Sars-1-Epidemie 2002/2003 war es naheliegend, sich dem Ursprung der Krankheit zu widmen. Also hat man sich aufgemacht und versucht, dem Virus auf verschiedenen Wegen auf die Spur zu kommen. Den Forscherinnen und Forschern um Shi Zhengli vom WIV ist es 2013 gelungen, das Sars-1-Virus zu identifizieren und zu verorten. Gefunden hat sie das Virus in einer Fledermaus, einer Chinesischen Hufeisennase. Zudem konnte das Virus isoliert werden, um es genauer untersuchen zu können.

Die Forscherinnen und Forscher wollten dabei unter anderem herausfinden, wie die Viren, wenn sie einen Körper befallen haben, aktiviert werden. Dabei spielt die sogenannte Furinspaltstelle eine entscheidende Rolle. Diese Stelle erlaubt es dem Virus, an Zellen anzudocken, damit die Erbinformationen in die Wirtezelle eingeschleust werden können. Sie ermöglicht also dem Erreger, sich in den Atemwegen festzusetzen, was eine Infektion auslösen und zu einer Erkrankung führen kann. Nun haben sich, so sagt Christian Drosten der Berliner Charité in einem Interview in der TAZ (taz, 25.1.2025), chinesische Forscher darum bemüht, diese Furinspaltstelle in Sars-Viren einzubauen. Denn Shi Zhengli musste feststellen, dass es äußerst schwierig ist, Sars-Viren zu isolieren, Zellstrukturen herzustellen und damit das Virus der Forschung zugänglich zu machen. Die Furinspaltstelle ist sehr fragil und geht schnell kaputt. Das Virus in einer Zellkultur zu vermehren, wofür die reibungslose Funktion dieser Stelle nötig ist, scheint sehr diffizil zu sein. Deshalb wurde offenbar versucht, solche Stellen im Labor in die Zellen einzubauen. Aber auch in anderen Viren wurde versucht, das Element einzufügen. Das findet Drosten besorgniserregend: »Wenn ich dagegen Sars-Viren eine künstliche Furinspaltstelle einsetzen würde, dann würde ich etwas machen, das möglicherweise in der Natur noch gar nicht da ist und von dem ich schon vermuten könnte, dass es das Virus übertragbarer macht.«

Wenn Viren in Laboren so verändert werden, dass die möglichen Gefahren – wie beispielsweise eine leichtere Ansteckbarkeit – erhöht werden, handelt es sich meist um sogenannte Gain-of-Function-Experimente. Für solche Projekte ist eine hohe Sicherheitsstufe in den Laboren erforderlich. Bekannt ist (auch hier hat die Textvitrine berichtet, Link im Lead), dass amerikanische Forscher zusammen mit dem WIV Forschungsgelder für Gain-of-Function-Versuche an Sars-Viren beantragt haben, diese Gelder aber nicht zugesprochen bekommen haben. Verfügt der BND über Informationen, die belegen, dass das WIV diese – oder vergleichbare – Versuche in Eigenregie durchgeführt hat? Hat der BND auch das in unmittelbarerer Nähe des Huanan-Marktes liegende Labor des CDC untersucht?

Experimente mit solchen Viren werden üblicherweise in Laboren mit mindestens der biologischen Schutzstufe 3 (biosafety level 3) durchgeführt. Die Risikogruppe 3 umfasst laut der offiziellen Biostoffverordnung Substanzen, »die eine schwere Krankheit beim Menschen hervorrufen und eine ernste Gefahr für Beschäftigte darstellen können; die Gefahr einer Verbreitung in der Bevölkerung kann bestehen, doch ist normalerweise eine wirksame Vorbeugung oder Behandlung möglich.« Dazu zählen etwa das Humane Immundefizienz-, das Vogelgrippe-, das Dengue- und das Gelbfieber-Virus. Laut BND haben am WIF offenbar riskante Manipulationen an Coronaviren in Laboren mit dem Biosafety Level 2 stattgefunden. Ob es dabei um das Einsetzen der Furinspaltstelle geht, ist noch nicht bekannt. Für allfällige Gain-of-Function-Experimente wäre gar das Level 4 üblich (ein solches Labor gibt es im WIV). Ist der BND nun im Besitz von Unterlagen, die das beweisen können?

Weiters sieht Drosten beim Begutachten von chinesischen Forschungspapieren, dass nicht immer klar ist, auf welcher Sicherheitsstufe welche Experimente durchgeführt werden. Diese fehlende Information ist Indiz dafür, dass es auch sonst an Transparenz mangelt. Hat der BND auch hierzu Akten gesammelt?

Zudem hätten gemäss des Virologen von der Charité die chinesischen Forscherinnen und Forscher die »technischen Möglichkeiten« gehabt, Belege für einen natürlichen Ursprung vorzulegen. Das ist aber nicht geschehen. Liegen dem BND Beweise der chinesischen Gesundheitsbehörde CDC vor, die einen natürlichen Ursprung – beispielsweise auf dem Huanan-Markt in Wuhan – ausschließen beziehungsweise ausschließen wollen? Oder wurden Informationen unterdrückt, die einen natürlichen Ausbruch belegen? Oder hat das CDC im Umkehrschluss Anhaltspunkte verschwiegen, die auf einen Laborunfall hindeuten könnten?

Und wie beurteilt der BND die handwerklichen Probleme, ein solches Virus tatsächlich in einem Labor herzustellen? Der nächste bekannte Verwandte des Sars-2-Virus ist das sogenannte RaTG 13-Virus. Es wurde sehr genau untersucht. Es stimmt zu 96 Prozent mit dem Sars-2-Virus überein. Evolutionär gesehen, liegen jedoch zwischen den beiden Viren 40 Jahre, das sind geschätzt etwa 1000 Mutationen. Ein Forscherteam hätte also im Labor am RaTG 13-Virus 1000 Mutationen vornehmen müssen, um ein Sars-CoV-2 hervorzubringen, Furinspaltstelle inklusive. Das ist kaum denkbar und forschungsökonomisch unsinnig. Das sagte auch Christian Drosten im NDR-Corona-Podcast Nr. 92 vom 8. Juni 2021. Oder kann der BND Beweise vorlegen, die besagen, dass es einen Sars-Verwandten gibt, der der Forschergemeinschaft bis anhin nicht bekannt war und möglicherweise in der Sammlung des WIV existiert hat? Oder dort gar – trotz des enormen Aufwands – zusammengebastelt worden ist?

Und die zweite Erklärung?

Es gibt klare Hinweise – aber keine handfesten Beweise –, dass in Tieren auf dem Huanan-Markt das Virus zirkulierte. Bekannt ist, dass in jenen Bereichen des Marktes, in denen lebende Tiere gehandelt wurden (auch Marderhunde, die schon bei Sars-1 im Zentrum standen), Spuren von Sars-2-Viren gefunden wurden. An Wänden, auf dem Boden, an Käfigen, im Abwasser. Das chinesische CDC hat nach Ausbruch der Pandemie Proben von Viren gesichert. Lange wurden die erhobenen Daten und ihre Auswertung unter Verschluss gehalten. Die Fachwelt forderte seit jeher die Herausgabe des Materials, aber das CDC blieb stur. Geheimhaltung und Funkstille. Ohne Ankündigung und unvermittelt sind dann im Frühjahr 2023 auf der öffentlich zugänglichen Internetplattform GISAID einzelne Daten dieser Proben publiziert worden. Warum plötzlich? Gleichwohl für viele eine freudige Überraschung. Die französische Biologin Florence Débarre hat den Datensatz zufällig entdeckt. In der NZZ vom 19.9.2024 sagt die Sorbonne-Professorin: »In dem Bereich im Huanan-Markt, in dem die grösste Menge von Sars-CoV-2 Genmaterial gefunden wurde, waren auch Tiere vorhanden, die nachgewiesenermaßen empfänglich für Coronaviren sind und diese auch weitergeben können. Es gibt Abstriche von Geräten in einem Verkaufsstand, da ist auf einem Stäbchen sowohl Genmaterial von Sars-CoV-2 als auch von Marderhunden.« Diese ersten Ergebnisse wurden in vertieften Analysen bestätigt. Was fehlt, ist die präzise Zuordnung von Sars-Viren auf ein konkretes Tier. Der ursprüngliche Übeltäter konnte nicht identifiziert werden. Das wäre der berüchtigte rauchende Colt. Aber: Können diese schwerwiegenden Indizien einfach so beiseitegeschoben werden? Mit anderen Worten: Wie beurteilt der BND die Beweislage eines Zoonose-Ursprungs?

Wir sind gespannt auf die Antwort der Expertinnen und Experten.

Jenseits der Fragen nach dem Ursprung

Fragen stellen sich aber auch politischer Art. Sowohl die Regierung Merkel als auch die Regierung Scholz wussten von den Vermutungen des BND. Wieso wurde die Öffentlichkeit nicht davon unterrichtet? Wollte man China nicht auf den Schlips treten? Dachte man, dass es klüger sei, im Hintergrund zu arbeiten und die Konfrontation zu meiden? Weshalb werden erst jetzt, fünf Jahre später, Fachkräfte herangezogen, die die vor fünf Jahren erhobenen BND-Unterlagen prüfen und beurteilen? Gibt es einen Zusammenhang mit dem Perspektiven-Wechsel in den USA? Nachdem Donald Trump die Präsidentschaft übernommen hat, wurde ohne nähere Begründung oder neu vorgelegten Beweisen angeordnet, in Zukunft bezüglich Corona von einem Laborausbruch in China zu sprechen.

Der Kern des Problems ist aber die chinesische Blockade-Haltung. Nichts wird preisgegeben, was der Wahrheitsfindung dienen könnte. Die GISAID-Daten sind eine spärliche Ausnahme. Als weltpolitisches Schwergewicht und als selbstdeklarierte Weltmacht stünde China in der Pflicht, Verantwortung zu übernehmen. Dagegen nichts als Nebelpetarden. Noch immer geistern im Land der Mitte Erklärungen herum, das Virus sei von aussen eingeführt worden, zum Beispiel von US-Soldaten, die zu einem Festival in Wuhan gekommen waren, oder von tiefgefrorenem, norwegischen Lachs. Oder sei in einem US-amerikanischen Hochsicherheits-Labor als Biowaffe entwickelt worden.

Insofern versteht man den Codenamen »Saaremaa«: Eine von einer herrschsüchtigenn Regierung ausgerufene Sperrzone wurde errichtet, in der sich gefährliche Institutionen befinden.

 

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Virus

Der Pandemieplan Schweiz, in der aktuellen Fassung der Influenza-Pandemieplan Schweiz 2018, ist ein Planungsinstrument, das Strategien und Massnahmen zur Vorbereitung der Schweiz auf eine (Influenza-)Pandemie dokumentiert. Er wird von der Eidgenössischen Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP) und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) herausgegeben.

Der erste Pandemieplan für die Schweiz wurde von einer Arbeitsgruppe unter Leitung von Robert Steffen ausgearbeitet. Die Vorarbeiten wurden 1995 begonnen; der erste schweizerische Influenza-Pandemieplan wurde im Jahr 2004 veröffentlicht. Ein zentrales Anliegen sei laut Steffen dabei gewesen, dem Bund die Führung zu überlassen.

Nach den Erfahrungen in der Bewältigung der Influenza-Pandemie 2009 wurde der Schweizer Pandemieplan vollständig revidiert.

Kristian G. Andersen et al, The proximal origin of SARS-CoV-2, 

(abgerufen am 2.5.2020)