Helge Schneider über Authentizität

Mit dem virtuosen Jazzmusiker, der das Groteske liebt, durch die Pandemie
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Icon Zum Gang der Pandemie

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Helge Schneider hat sich aus den Diskussionen rausgehalten und gedacht, er trete mal etwas kürzer, denn »ich bin nicht systemrelevant«. Interview in der NZZ vom 24. September 2021 über Authentizität, Rollenprosa, Eitelkeiten und die Pandemie.
Taktgeber

»Was Corona betrifft, muss ich sagen: Ich kann aus allem auch was Gutes herausziehen. Weil ich ein Mensch bin und als Mensch ambivalent. Es ist immer ein Vorteil, kein Schwarz-Weiß-Denken zu entwickeln. Ich finde natürlich die oktroyierten Bedrängungen merkwürdig, weil es überall anders ist. Die Menschen sind sehr verschieden. Aber: Wenn ich weiß, es ist ein gefährliches Virus in der Welt, dann halte ich mich doch zurück. Dann bleibe ich zu Hause und gehe nicht an Menschenansammlungen. Oder setze mir eine Maske auf. Plötzlich waren alle Experten und haben sich im Internet informiert. Da hab ich mich rausgehalten. Ich lebe so mehr aus dem Bauch. Ich hab mir gedacht: Treten wir mal ein bisschen kürzer. Das geht schon wieder weg. Eigentlich denke ich heute noch so… Natürlich ist Corona für viele etwas ganz Einschneidendes, aber ich bin nicht systemrelevant. Man braucht meine Kunst nicht. Ich bin Außenseiter. Subkultur… Ich weiß, wie schwierig solche Zeiten für andere in dem Bereich sind. Kleine Klubs, wo Leute aufgetreten sind… Die, die nicht so bekannt sind, können gar nicht auftreten… Egal, wem man folgt in seinen Ausführungen, auch den Wissenschaftlern: Das ist Spekulation. Das große Was-ist-wenn? Auch im Nachhinein ist es nicht viel klarer. Da bleibt der Mensch außen vor. Das ist Natur. Man kann die Natur beeinflussen, ihr die Hand reichen. Man kann versuchen, sie zu retten. Der Mensch muss seine Eigenverantwortung wahren. Ich bin für mich und andere verantwortlich… Ich habe nichts mit Menschen zu tun, die Corona leugnen, glauben, dass einem bei der Impfung ein Chip eingepflanzt wird. Das ist nicht meine Baustelle… Ich mache mich nicht über andere lustig. Ich sehe mich als Quelle des Grotesken… Egal, welche Figur ich gerade aufgefressen habe. Ich spiele ja nicht die Figur, ich bin die dann.«

NZZ: »Nicht Helge Schneider schlüpft in die Rolle, sondern die Rolle schlüpft in Helge Schneider.«

»Ja. In der Musik ist das auch so. Die Musik ist ja schon längst da, und irgendwie saug ich die ein. Am Klavier zum Beispiel. Ich spiel ja nicht bewusst das und das, sondern das kommt von selbst. Es ist ein Highlight, wenn man gar nicht mehr weiß, was man macht. Wenn das so durchfließt und in ein Instrument hinein. Das ist ähnlich mit Figuren, die man spielt. Die sind da, und die sind authentisch. Die Authentizität ist das Allerwichtigste… Man kann den Menschen dann durch seine eigene Person etwas zeigen, das befreiend wirkt.«

NZZ: »Gibt es denn die Angst, wirklich schlecht zu sein?«

»So eitel bin ich dann doch, immer noch irgendwelche virtuosen Dinge anzubringen. Wenn ich auf der Bühne bin und Musik mache, dann ist das schon sehr virtuos. Das kann kein anderer, und das weiß ich auch. Ich muss es aber nicht an den Mann bringen.«

NZZ: »Brillant sein, ohne zu brillieren.«

»Richtig. Brillant sein, ohne brillieren. Ich sag mal: Das ist der Normalo-Effekt. Es ist mein Handwerk. Wie beim Tischler. Ich möchte es so gut wie möglich machen, dann bin ich froh. Egal, was die anderen denken. Ich bin nicht von der Gunst des Publikums abhängig, und ich improvisiere. Jetzt in letzter Zeit, gerade durch Corona, bin ich extrem lustig geworden. Ich weiß nicht, warum. Ich glaube, es liegt an dieser Zeit der verlorenen Freiheit. Da muss man sich dran reiben. Sauer macht lustig… Das Dasein ist ja so eine Modenschau der Eitelkeiten. Früher haben sich die, die keine Haare mehr hatten, die Frisur rübergekämmt mit Fit und Brisk und noch eine Tolle gemacht und gemeint, die Leute merken das nicht… Existenz ist sowieso völlig grotesk. Bei der Geburt geht das los. Sich da rauszuwinden, gelingt nicht vielen. Und frei zu sein.

NZZ fragt nach seiner Verbindung mit Alexander Kluge, mit dem er öffentliche Gespräche führt.

»Der Wissensdrang. Ich habe zu ihm gesagt: Wir sind wie zwei neunjährige Jungs… Ich bleibe der, der ich bin, weil ich mich nicht wiederholen muss. Ich muss mich nicht karikieren… Ich werde mit 105 noch ganz jung auf der Bühne stehen… Ich lasse mich vom Tod überraschen. Selbst als ich vor drei Jahren nur fünf Minuten vorm Sterbenstod war, hab ich mich wohl gefühlt… Ich war im Krankenhaus sehr gutgelaunt und habe mir gedacht: Mir ist alles egal. Hauptsache egal.«

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Virus

Der Pandemieplan Schweiz, in der aktuellen Fassung der Influenza-Pandemieplan Schweiz 2018, ist ein Planungsinstrument, das Strategien und Massnahmen zur Vorbereitung der Schweiz auf eine (Influenza-)Pandemie dokumentiert. Er wird von der Eidgenössischen Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP) und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) herausgegeben.

Der erste Pandemieplan für die Schweiz wurde von einer Arbeitsgruppe unter Leitung von Robert Steffen ausgearbeitet. Die Vorarbeiten wurden 1995 begonnen; der erste schweizerische Influenza-Pandemieplan wurde im Jahr 2004 veröffentlicht. Ein zentrales Anliegen sei laut Steffen dabei gewesen, dem Bund die Führung zu überlassen.

Nach den Erfahrungen in der Bewältigung der Influenza-Pandemie 2009 wurde der Schweizer Pandemieplan vollständig revidiert.

Kristian G. Andersen et al, The proximal origin of SARS-CoV-2, 

(abgerufen am 2.5.2020)