Alles Design? Segelboot nach Plänen von Philippe Starck.

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Im Artikel der NZZ rückt Marcel Gyr die italienische Virologin Rosanna Segreto und die Twittergruppe #DRASTIC prominent ins Feld. Segreto forscht in Innsbruck und ihre Erkenntnisse teilt sie mit den Mitgliedern von #DRASTIC. Diese Gruppe vereint Wissenschaftler aus verschiedenen Forschungsrichtungen, die die Ursachen von SARS-CoV-2 ergründen will. Die meisten Mitglieder bleiben anonym, um – wie es heißt – ihre Karriere als Expertinnen nicht zu gefährden. Der Twittergruppe #DRASTIC sei es zu verdanken, dass die Mojiang-Geschichte überhaupt publik geworden ist. Shi Zhengli hat das ursprünglich in der Mine gefundene und SARS-CoV-2 am nächsten verwandte RaTG13 unter dem Namen ID4991 in ihrem Archiv abgelegt. Erst für die Veröffentlichung des Genoms von ID4991 hat sie es auf RaTG13 umgetauft (der Name weist auf den Wirt, Rhinolophus affinis, den Fundort, Tong Guan, und den Zeitpunkt, 2013, des Fundes hin). Segreto hegt in einem Artikel in BioEssays auf Wiley Ref. aus virologischer Sicht Zweifel, ob sich die SARS-CoV-2-Rezeptoren aus früheren Coronaviren- oder MERS-Rezeptoren hätten entwickeln können. Hierzu bedarf es noch weiterer Forschung. In einem weiteren Artikel auf springer.link Ref. stellt sie infrage, ob die zur Diskussion stehenden Zwischenwirte für die Beschaffenheit des SARS-CoV-2 geeignet gewesen wären. Sie meint nein. Die Suche nach dem allfälligen Zwischenwirt müsse weitergehen. Segreto sagt nicht, die Laborthese sei bewiesen, sie will sie nur nicht ausschließen, es gebe gute Gründe, die dafür sprechen.

Marcel Gyr legt sich nicht fest, letztlich schreibt er, es sei nach wie vor ein Rätsel, wie das Virus auf den Menschen übertragen wurde. Man hätte sich gewünscht, er hätte noch eine Expertenmeinung zu Segretos Thesen bei Fachkräften eingeholt.

Aber spinnen wir unverdrossen in Eigenregie am Laborausbruchfaden weiter. Aus dem Fakt, dass der Zwischenwirt fehlt und die Beschaffenheit der Rezeptoren angeblich ungenügend ist, ziehen Labortheoretiker den Umkehrschluss, es bleibe nur noch der Laborausbruch als Antwort übrig. Dann wird alles mit den gain-of-function-Experimenten im WIV gemixt und mit hin und wieder vorkommenden Zwischenfällen garniert, das ergibt ein süffiges Gebräu – egal ob geschüttelt oder gerührt. Manchen Beobachtern sind also Segretos Argumente Anlass genug, den rauchenden Colt auf den Tisch zu legen. Die Labortheoretiker können Shi sodann vorwerfen, die RaTG13-Sequenz nicht unmittelbar nach der Entdeckung publiziert zu haben, das sei unwissenschaftlich. Daraus könnte gefolgert werden, Shi habe etwas zu verbergen gehabt. Damit wird insinuiert, Shi habe ID4991 für ihre gain-of-function-Versuche so manipuliert, dass es zu SARS-CoV-2 wurde. Also haben die Spuren von der Existenz des ID4991 verwedelt werden müssen. Folgerichtig wurde RaTG13 aus dem Hut gezaubert. Eine steile These. Oder doch nur eine Wasserpistole? Aber: Virologen (etwa Kristian Andersen) haben festgehalten, dass der Unterschied der Genome von SARS-CoV-2 und RaTG13 lediglich 4% betrage. Umgerechnet in Anzahl Mutationen, sind das aber etwas mehr als 1000. Man hätte also noch ziemlich viel mehr herumbasteln müssen als etwa nur an den Spikeproteinen.

Aber ist es tatsächlich wie in der Sherlock-Holmes-Geschichte Silberstrahl von Arthur Conan Doyle? Überzeugt der Umkehrschluss? Weil es keine Zoonose-Beweise gibt, stimmt die Labortheorie? Wir erinnern uns kurz an eines der entscheidenden Indizien in der Silberstrahl-Erzählung: Der Fall spielt auf einem Gutshof, auf dem Rennpferde trainiert werden. Sie werden bewacht von einem Hund. Eines Nachts wird im Stall eingebrochen. Einem Pferd, dem Favoriten für den Wessex Cup, soll etwas angetan werden. Es geht um Wettmanipulation. Wer ist der Übeltäter? Die Aufgabe des Hundes des Gestüts bestünde eigentlich darin, zu bellen, wenn ein Eindringling sich nähert.

Watson: »Könnten Sie mich noch auf den einen oder anderen Punkt aufmerksam machen?«

Holmes: »Jawohl – das sonderbare Benehmen des Hundes während der Nacht.«

Watson: »Der Hund hat sich in der Nacht ganz ruhig verhalten.«

Holmes: »Ja, darin bestand eben die Sonderbarkeit.« Ref.

Der Hund verhielt sich ruhig, ist der entscheidende Hinweis. Holmes schließt daraus, dass der Pferdeschänder dem Hund bekannt sein musste. Die Absenz eines zu erwartenden Ereignisses, des Gebells, lenkt den Verdacht vom bis anhin (dem Hund) unbekannten Hauptverdächtigen auf einen Angestellten. Wird sich Holmes dieser Tatsache gewahr, setzen sich anschließend die Puzzleteile nahtlos ineinander (Vgl. Herdentrieb). Clever kombiniert, Holmes. Der Meisterdetektiv scheint die Laborthese zu stützen. Ist dem auch so?

Holmes Ermittlungsmethoden folgen einem positivistischen, naturwissenschaftlichen Muster. Holmes ist ein Mann mit einem unerschöpflichen Wissen (das bis hin zu vertieften Tabakkenntnissen reicht) und er kennt unzählige Theorien über Naturphänomene und über die menschliche Psyche. Aber wenn er sich eines Falls annimmt, macht er erst einmal Tabula rasa. Er beobachtet genau und sammelt Indizien. Dann setzt er für sich das Bild zusammen. Fehlt ein Aspekt, der seine Hypothese unterstützen würde, klopft er die Indizien noch einmal ab, schaut und hört noch genauer hin, wechselt die Perspektive, bis er den entscheidenden Dreh gefunden hat. Im Fall von Silberstrahl wird ihm schnell klar, dass die von der Polizei präsentierte Lösung kaum stimmen kann. Denn die Polizei denkt vorwärts. In der Geschichte Scharlachrot erklärt der Detektiv seinem Begleiter Dr. Watson diese polizeiliche Ermittlungsmethode: »Die meisten Leute werden, wenn Sie ihnen eine Reihe von Vorfällen schildern, imstande sein, Ihnen das Ergebnis zu nennen. Sie können diese Vorfälle im Geist verknüpfen und daraus ableiten, dass sich etwas ereignen wird.« Ref. Wenn jedoch in der Reihe der relevanten Vorfälle die Absenz des Hundegebells nicht berücksichtigt wird, gelangt man zum falschen Ergebnis. Der französische Literaturwissenschaftler Pierre Bayard schreibt in seiner fulminanten Untersuchung zum Hund von Baskerville Ref., in der er aufdeckt, dass sich auch der Meister irren kann, über die Methode des holmeschen Rückwärtsdenkens. Erst wenn wir das richtige Ergebnis kennen, fügen sich alle Indizien zu einem Bild. Vom Ganzen wird auf die Einzelteile geschlossen. Erst als Holmes die Hypothese prüft, dass der dem Hund vertraute Pferdetrainer der Schelm sein könnte, wird die Absenz des Gebells theoretisch wahrheitsdienlich. Holmes erklärt es Dr. Watson so: »Es gibt aber nur wenige Leute, die, wenn Sie ihnen ein Ergebnis mitteilten, imstande wären, aus sich selbst heraus die Schritte zu entwickeln, die zu diesem Ergebnis geführt haben. Es ist diese Fähigkeit, die ich meine, wenn ich davon spreche, rückwärts oder analytisch zu denken.« Ref.

Aber kann die Logik von Holmes Deduktion auf die Laborthese angewendet werden? Wir wiederholen: Die berücksichtigten Vorfälle lauten: Es gibt ab und zu Laborunfälle; es finden in Wuhan vermutlich gefährliche gain-of-function-Experimente statt; es gab einen massiven SARS-CoV-2-Ausbruch in Wuhan und gleichzeitig existieren mehrere Labore in der Stadt, eines davon nahe dem Huanan-Markt; die Informationspolitik der Behörden ist mangelhaft; Anhaltspunkte für eine zoonotische Übertragung sind offenbar nicht vorhanden. Denken wir vorwärts, ist der Fall klar: Laborausbruch. Der Colt qualmt. Allerdings würde Holmes den Schießpulverrauch als künstlich hergestellt beurteilen, so wie er von der schwarzen Asche in einem Aschenbecher auf die indische Trichinopoly-Zigarre und von den hellen, flockigen Rückständen auf den Bird’s-Eye-Tabak schließen kann.

Er würde vermutlich die Stirn runzeln. Sind das verlässliche, »positivistisch« wahrnehmbare Indizien? Ist in diesem Fall die Absenz des Beweises für die Zoonose vergleichbar mit dem fehlenden Hundegebell? Hätte Holmes nicht nur bezüglich des Tabaks, sondern auch bezüglich der Virologie das einschlägige, exakte Wissen, würde er rückwärtsdenkend auf die hohe Wahrscheinlichkeit einer Zoonose schließen. Das Ergebnis »Laborausbruch« aufgrund der genannten »Vorfälle« mag vorwärtsdenkend plausibel erscheinen, überzeugt als rückwärtsgedachte Analyse aber kaum, die Indizien sind halbgar und basieren mehrheitlich auf Vermutungen und Unterstellungen, die wissenschaftlichen Beweise sind mangelhaft, die psychologischen Motive durchschaubar und die These wirkt konstruiert. Die Theorie ist eine unter mehreren unwahrscheinlichen Erklärungsversuchen – und würde von Holmes vermutlich verworfen werden. Aber immerhin fordert sie die Expertinnen auf, weiter zu forschen. Allerdings kann hier das Ergebnis nicht abschließend beurteilt werden, da es einerseits noch gar nicht vorliegt und andererseits die virologischen Kenntnisse des Schreibenden nicht holmesmäßig sind und nicht so weit reichen, um dies überhaupt beurteilen zu können.

Lassen wir die Wissenschaft sprechen:

Segretos Artikel und die Einlassungen von #DRASTIC werden in den relevanten virologischen oder mikrobiologischen Fachpublikationen nicht zitiert. Dass sich diese Sichtweise in der Virologenzunft durchgesetzt hätte, kann mitnichten behauptet werden. Wenn die #DRASTIC-Position wahrgenommen wird, dann eher von Verschwörungserzählungs-affiner Seite oder von rechtsnationalen Postillen wie etwa jene von Steve Bannon. Letzterer hatte schon die unbewiesene Laborthese der Virologin Li-Meng Yan verbreitet. Der Forscher Kristian G. Andersen vom Scripps Research Institute in La Jolla CA hat in seiner Studie, die auch vom renommierten Virologen W. Ian Lipkin von der Columbia Universitiy NY gezeichnet wird, zum Genom des SARS-CoV-2 festgestellt, dass eine künstliche Herstellung sehr unwahrscheinlich sei. Ref. Er meint, dass die Spike-Proteine auf der Viren-Oberfläche, mit deren Hilfe die Erreger an die menschlichen Körperzellen andocken, aufgrund einer natürlichen Selektion entstanden sein müssen und es undenkbar ist, dass sie per Manipulation hergestellt worden seien. Das Protein bindet zwar gut an die menschlichen Zellen, man hätte es aber noch viel besser hingekriegt, meint Andersen. Hätte man das Virus im Labor konfiguriert, so hätte man sich vermutlich bei den Andock-Proteinen am SARS-CoV orientiert, weil diese dort so effizient gewesen sind. »Doch ausgerechnet diese Mutationen fehlen im Wildtyp von SARS-CoV-2«, schreibt die SZ. Die Studie von Andersen ist bis jetzt nicht ernsthaft widerlegt worden und erhält von den meisten Virologinnen Zuspruch. Sie wird rege zitiert. Eine breit wahrgenommene chinesische Untersuchung kommt zum gleichen Schluss. Auch der Virologe Alexander Kekulé von der Martin-Luther-Universität in Halle Wittenberg sagt, das S-Protein von SARS-CoV-2 sei »bezüglich seiner Entfaltung bei Rezeptorkontakt, seiner Rezeptor-Bindungsstelle und bezüglich der Sequenz der Furin-Spaltstelle einmalig«. Kein bekanntes Coronavirus hätte hier »einem bad scientist als Vorbild dienen können«. Ref.

Die Autoren der SZ fragen bei Fachkräften nach. Keiner kann der Laborthese Plausibilität abgewinnen. Der Gießener Virologe Friedemann Weber meint, es sei zwar durchaus möglich, dass im Geheimen an Virenhybriden gewerkelt wird, »aber ein solches Virus im Labor zu basteln, gelingt nicht im ersten oder zweiten Anlauf, eher beim hundertsten.« Und je komplexer das Projekt werde, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es publik wird. Der WHO-Experte und Virologe Fabian Leendertz wird in der SZ folgendermaßen zitiert: »Alles in diese Richtung ist derzeit Spekulation. Wenn Leute in den USA oder sonst wo sagen, sie wissen, dass es aus einem Labor kommt, dann sollen sie doch einfach die Daten zeigen. Bislang kam nur heiße Luft.«

Zudem kann man sich in Fachkreisen nicht vorstellen, dass entweder die Isolierung oder das Zusammenbasteln eines SARS-CoV-2 in irgendeinem Labor über Jahre unbekannt geblieben wäre. Die Forschung basiert auf Zusammenarbeit und Austausch, die Wissenschaftlerinnen treffen ihre Kollegen an Kongressen und Konferenzen – auch die chinesischen. Gerade Shi Zhengli ist international breit vernetzt. Gut, man könnte einwenden, Shi habe ihre RaTG13-Entdeckung auch lange geheim gehalten, aber es gibt keine Hinweise darauf, dass sie mit diesem Virus herumexperimentiert hat.

Solange viele Aspekte und Fragen noch unbeantwortet sowie Informationen und Unterlagen nicht komplett sind, wird weitergeforscht. Auch an der Laborthese. Allerdings ist die Indizienlage nach wie vor dünn. Es wäre von Vorteil, wenn politische und verschwörungsmythische Erwägungen in den Hintergrund träten. Die Autoren in der SZ meinen, die politische Dimension der Auseinandersetzungen verneble den Blick auf die Sache: »Im rhetorischen Gegeneinander werden Fragen nach dem Ursprung des Virus und die nach dem Umgang mit ihm verkürzt und vermengt.«

Und WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus meint, der Bericht sei nicht das Ende der Suche, sondern der Anfang.

Wohlan.

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https://link.springer.com/article/10.1007/s10311-021-01211-0

https://www.quarks.de/gesundheit/wo-koennte-der-ursprung-des-coronavirus-liegen/

https://www.nature.com/articles/s41591-020-0820-9

 

https://www.nature.com/articles/s41591-020-0820-9

Sir Arthur Canon Doyle, Eine Studie in Scharlachrot, Zürich 1984

Pierre Bayard, Freispruch für den Hund von Baskerville. Hier irrte Sherlock Holmes. München 2008

Sir Arthur Canon Doyle, Eine Studie in Scharlachrot, Zürich 1984

Arthur Conan Doyle, Silberstrahl, in: Die Memoiren des Sherlock Holmes, e-artnow 2014

Virus

https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/bies.202000240

Der Pandemieplan Schweiz, in der aktuellen Fassung der Influenza-Pandemieplan Schweiz 2018, ist ein Planungsinstrument, das Strategien und Massnahmen zur Vorbereitung der Schweiz auf eine (Influenza-)Pandemie dokumentiert. Er wird von der Eidgenössischen Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP) und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) herausgegeben.

Der erste Pandemieplan für die Schweiz wurde von einer Arbeitsgruppe unter Leitung von Robert Steffen ausgearbeitet. Die Vorarbeiten wurden 1995 begonnen; der erste schweizerische Influenza-Pandemieplan wurde im Jahr 2004 veröffentlicht. Ein zentrales Anliegen sei laut Steffen dabei gewesen, dem Bund die Führung zu überlassen.

Nach den Erfahrungen in der Bewältigung der Influenza-Pandemie 2009 wurde der Schweizer Pandemieplan vollständig revidiert.

Kristian G. Andersen et al, The proximal origin of SARS-CoV-2, 

(abgerufen am 2.5.2020)

https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/bies.202000240