Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften hat einen neuen Leitfaden ausgearbeitet, der den Intensivärzten als Grundlage von sogenannten Triageentscheidungen dienen soll. Eine erste Fassung vom März 2020 wurde kritisiert, da das Papier empfahl, Menschen über 85 Jahre kein Intensivbett in Aussicht zu stellen, wenn es darauf ankommt, auch wenn diese – abgesehen einer Coronaerkrankung – an und für sich kerngesund und fit sind. Diese Kritik wurde aufgenommen. Anhand einer Gebrechlichkeitsskala kann erhoben werden, in welchem Zustand ein (älterer) Patient ist. So bestünde auch für rüstige Alte die Chance, an ein Beatmungsgerät angedockt zu werden. Die Dalhousie University in Kanada hat eine solche Skala entwickelt. Sie reicht von eins bis neun.
Diese Einteilung unterstützt die Ärzte beziehungsweise das Ärzteteam bei der Frage, wie gut die Chancen für einen Patienten einzuschätzen sind, auch nach längerer Behandlung die Intensivstation lebend verlassen zu können. Grundsätzlich geht es darum, mit nachprüfbaren und messbaren Kriterien Willkür und Gefühle, die bei einer solch bedeutsamen Entscheidung stets mitspielen, möglichst zu vermeiden, schreibt die NZZaS (am 8. November 2020), die diese Skala vorstellt. Die Einschätzung der Gebrechlichkeit darf nicht aufgrund des Zustands während einer akuten Erkrankung erfolgen. Die Skala ist ein wichtiges Instrument, das innerhalb einer ganzheitlichen Betrachtung mehrerer Fachkräfte eingesetzt werden soll.
Solche Triageentscheidungen müssen gleichzeitig im ganzen Land gelten, damit überall nach den gleichen Kriterien verfahren wird und die Engpässe bei Intensivbetten möglichst früh erkannt werden können. Es gilt das Prinzip der gleichen Behandlung für alle. Bemerkenswert ist die zusätzliche Regelung, dass ein Patient in einem kritischen Zustand, der sich über lange Zeit nicht verbessert, bei dringendem Bedarf eines Beatmungsgeräts wieder vom Gerät abgehängt werden kann, um einem anderen Erkrankten mit besseren Heilungsaussichten Platz zu machen. Des weiteren gilt das Verfassungsprinzip, dass es keine Personen gibt, die bevorzugt behandelt werden, es sei denn, es handle sich um die gerade erwähnten, auf rein medizinischen und gesundheitlichen Kriterien bemessenen Überlebenschancen. (Darüber unterhalten sich Steiner und Schmid unter dem Motto: Eigenverantwortung.)
Die Triageregeln sind nicht mit einem Gesetz zu vergleichen. Die Rechtstauglichkeit dürfte bei einem Fall, in dem Angehörige klagen, noch geprüft werden. Letztlich sollten die Bestimmungen aber in ein Gesetz umgegossen werden, das dem Stimmvolk vorgelegt werden muss.