Datenmissbrauch?

Stunk um Daten aus China
Eine Forschergruppe hat neue Belege für die Zoonosethese gefunden. Sie publiziert vorab Erkenntnisse mit Material einer noch nicht publizierten Studie eines chinesischen Teams. Jetzt gibt’s heftige Diskussionen über die Verwendung von »fremden« Daten.
Die Fledermaus war's. Ausschnitt aus einem Werk von Alexandre und Florentine Lamarche-Ovize

Die Evolutionsbiologin Florence Débarre vom französischen Centre national de la recherche scientifique(CNRS) forscht seit längerer Zeit über den Ursprung des SARS-2-Virus. Einst gehörte sie der sogenannten »Paris Group« an, die eine ernsthafte Prüfung der Laborthese forderte. Je länger sich die Forscherin jedoch mit dieser These beschäftigte, je mehr Ungereimtheiten und Widersprüche sah sie in der Argumentationslogik der Lab-Leak-Theorie. Und desto überzeugender schienen ihr die Indizien einer Zoonose zu sein, also dass das Virus von einem Ursprungswirt über einen Zwischenwirt auf den Menschen übergesprungen ist. Zusammen mit anderen Kollegen hat sie nun neue Informationen über Gensequenzen ausgewertet, die sie eher zufällig auf der Plattform von GISAID (Global Initiative on Sharing All Influenza Data) gefunden hat. GISAID ist eine Wissenschaftsorganisation, die den Zugang zu Genomdaten fördert. Die von Débarre aufgespürten Daten haben es in sich. Sie wurden von einem Team um den Virologen und Immunologen George F. Gao auf die GISAID-Plattform geladen. Gao amtete bis 2022 als Direktor des Chinesischen Zentrums für Krankheitskontrolle und ­-prävention (CDC). In dieser Funktion befasste er sich seit 2019 intensiv mit der Pandemie. Auf Gaos Unterlagen, die am 4. März 2023 auf GISAID publiziert worden sind, wartete die Forschergemeinschaft, allen voran die Vertreterinnen der Zoonose, schon seit drei Jahren. Es handelt sich um Proben und Abstriche, die das CDC kurz nach Ausbruch der Pandemie von Januar bis März 2020 auf dem Huananmarkt in Wuhan sichergestellt hat. Entgegen den Beteuerungen chinesischer Behörden, dass auf den sogenannten wet markets in China keine lebenden Wildtiere verkauft werden, weisen nun die Daten darauf hin, dass auf dem Huananmarkt sehr wohl lebende Marderhunde und andere Tiere angeboten wurden. Man hat sogar in jenen Boxen, in denen Gewebeproben von SARS-2-Viren gefunden worden sind auch solche von Marderhunden nachweisen können. Débarre hat zusammen mit weiteren Forscherinnen, darunter auch so bekannte Zoonosevertreterinnen wie Angela Rasmussen, Kristian Andersen, Edward Holmes und Michael Worobey, die erste Analyse der chinesischen Daten nicht in einem gegengeprüften Artikel in einer wissenschaftlichen Zeitschrift, sondern als Report auf der Plattform Zenodo veröffentlicht. Der Report ist denn auch ohne Peer-Review erschienen. Wenn auch der definitive Beweis – ein lebender, infizierter Marderhund wurde quasi in flagranti noch nicht erwischt – kaum mehr gelingen kann, sind die Indizien inzwischen so solide, dass man mit sehr, sehr großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass die verdächtigten Tiere tatsächlich die Zwischenwirte sind. Das Puzzle ist fast komplett. Auch wenn Labortheoretiker argumentieren, dass ein infizierter Mensch das Virus in den Käfig gebracht haben könnte.

Soweit die neuen Erkenntnisse hinsichtlich des Ursprungs. Sie sorgten für Schlagzeilen, nicht zuletzt weil das Federal Bureau of Investigation (FBI) erst vor kurzem noch betont hat, es gehe von einem Laborausbruch aus.

Was in Forscherinnenkreisen – aber nicht in den Medien – fast noch mehr Anlass zu Diskussionen gegeben hat, ist der Fakt, dass die Daten auf GISAID geladen wurden, der dazugehörende Artikel der chinesischen Wissenschaftler jedoch noch nicht publiziert worden ist, aber erste Fremdanalysen schon die Runde machten. Üblicherweise sollten veröffentlichte Daten erst dann zweitanalysiert werden, wenn der gegengeprüfte Beitrag der für die Datenerhebung verantwortlichen Forschergruppe veröffentlicht ist. Dieses Vorpreschen von Débarre et al. hat die GISAID gestört. Die Interessen des Teams von China seien nicht geschützt gewesen. Der Zugang für die Débarre-Gruppe wurde vorübergehend gesperrt. Auch Gao war nicht einverstanden mit dem Vorgehen und das chinesische CDC hat eine Beschwerde eingereicht. Die Gao-Gruppe kritisiert, dass der Débarre-Report nicht hätte publiziert werden dürfen, denn die Daten seien noch nicht vollständig gewesen und erst kürzlich auf Wunsch der Gutachter sogar noch aktualisiert worden. Débarres Gruppe widerspricht. Sie hätten das Gespräch gesucht, hätten aber keine Antwort erhalten. Die beiden Zeitschriften Nature und Science baten die chinesische Seite jeweils um eine Stellungnahme. Auch sie erhielten keine Nachricht. Gao ließ lediglich verlauten, die Daten förderten nichts Neues zu Tage.

Die Autorinnen des Zenodo-Reports weisen ausdrücklich darauf hin, dass sie das Recht der chinesischen CDC-Forscher respektiert und berücksichtigt haben, als erste eine von Expertinnen begutachtete Arbeit über ihre Daten zu veröffentlichen. Deshalb hätten sie ja nur einen Report geschrieben, in dem es nicht um Quellenkritik gehe. Wissenschaftliche Gutachten betreffen ohnehin in erster Linie das Datenmaterial und die Methodenwahl und aufgrund dieser Analyse werden die Resultate beurteilt. Des Weiteren strebten sie keinen gegengeprüften wissenschaftlichen Beitrag an. Schließlich erwähnen sie, dass sie seit drei Jahren auf diese Daten gewartet hatten. GISAID musste die Bedingungen ihrer Open-Data-Politik unterdessen verdeutlichen.

Was ist das Problem? Einerseits könnte ein solches Vorpreschen mit Analysen von »fremden Daten«, wie es die Débarre-Gruppe getan hat, künftig gewisse Forscherinnen davon abhalten, ihr Material auf offenen Plattformen zu publizieren, wenn sie befürchten müssen, dass ihnen gewissermaßen von anderen in die Parade gefahren wird. Die Bedeutung der Daten für die Entstehung der Pandemie stelle keinen zwingenden Grund dar, um das Vertrauen eines Open-Data-Unternehmens zu missbrauchen, so die Kritikerinnen. Andererseits, so argumentiert die Gegenseite, wird durch dieses Vorgehen die Diskussion befeuert. Auch Reports und Preprints dienten dem wissenschaftlichen Fortschritt und brächten andere Perspektiven in die Diskussion. Und wenn sich jemand, wie hier China, so lange ziere, relevante Daten zu veröffentlichen, müsse man sich nicht wundern, wenn diese, sobald sie vorlägen, sofort verarbeitet würden.

Die WHO ließ zum wiederholten Mal verlauten, sie erwarte von chinesischer Seite endlich schrankenlosen Zugang zu allen Daten, die die Frage nach dem Ursprung klären könnten.

Quellen:

Der Spiegel (23.3.2023); FAZ (18.3.2023); Nature (21.3.2023); Science (16.3.2023), The Atlantic (16.3.2023); Zenodo (20.3.2023)

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Der Pandemieplan Schweiz, in der aktuellen Fassung der Influenza-Pandemieplan Schweiz 2018, ist ein Planungsinstrument, das Strategien und Massnahmen zur Vorbereitung der Schweiz auf eine (Influenza-)Pandemie dokumentiert. Er wird von der Eidgenössischen Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP) und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) herausgegeben.

Der erste Pandemieplan für die Schweiz wurde von einer Arbeitsgruppe unter Leitung von Robert Steffen ausgearbeitet. Die Vorarbeiten wurden 1995 begonnen; der erste schweizerische Influenza-Pandemieplan wurde im Jahr 2004 veröffentlicht. Ein zentrales Anliegen sei laut Steffen dabei gewesen, dem Bund die Führung zu überlassen.

Nach den Erfahrungen in der Bewältigung der Influenza-Pandemie 2009 wurde der Schweizer Pandemieplan vollständig revidiert.

Kristian G. Andersen et al, The proximal origin of SARS-CoV-2, 

(abgerufen am 2.5.2020)