Das China-WHO-Joint Team

Die Suche nach dem Ursprung des Virus
Jetzt wollen China und die WHO zusammenspannen: zwei Gruppen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, eine aus China und eine aus dem Rest der Welt, machen sich auf die Suche. Ein Forscher sagt: »Der Ursprung ist da, wo er ist.« Hoffentlich funkt die Politik nicht dazwischen. Teil I vom 12. Dezember 2020 und Teil II vom 10. Februar 2021. Zudem ein Nachtrag vom 15. Februar 2021. Fortsetzung folgt.

Teil I: 

»Der Ursprung ist da, wo er ist.« Die WHO will zusammen mit China erforschen, wo die Ursprünge der Pandemie liegen. Das ist politisch ein heikles Unterfangen, schreibt Frederike Böge in der FAZ. 12. Dezember 2020

Wie in den hier vorliegenden Querverweisen schon mehrfach ausgeführt wurde (Chronik einer angekündigten Katastrophe, Zur Herkunft des Virus), zuletzt in den Wuhan Files (Die Wuhan-Files), wird die Suche nach dem Ursprung des Virus nicht nur von der Wissenschaft bestimmt, sondern und vor allem auch von der Politik. Mal ist es die US-amerikanische Regierung, die einen Laborausbruch in Wuhan vermutet, mal ist es das chinesische Regime, das von einem Viren-Import nach China spricht.

Immerhin haben sich jetzt die Regierung und die WHO auf eine Liste von siebzehn Wissenschaftlern geeinigt, die der Frage nachgehen sollen, wie und wo die entscheidende Übertragung auf den Menschen stattgefunden hat. Fabian Leendertz vom Robert-Koch-Institut (RKI) ist Tiermediziner und ist ebenfalls dabei. Er und sein Team konnte 2014 in Guinea jenen Baum identifizieren, auf dem sich eine Fledermaus befand, von der das Ebola-Virus auf einen Jungen übergesprungen ist. Leendertz betont die Schwierigkeit, die Schuldfrage außen vor zu lassen. Solche Übertragungen können überall passieren. Dass es bei Ebola Guinea traf, ist schlichtweg Zufall. Aber einen Schuldigen zu definieren, ist unzulässig.

Gleichwohl denken die Leute und missgünstige Politiker eben doch in Denkschachteln moralischer Zuschreibungen. Im Minenfeld der chinesisch-amerikanischen Beziehungen sind solche Bewertungen gefährlich. Deshalb erstaunt nicht, dass es lange gedauert hat, bis man sich auf einen Handlungsrahmen der Nachforschungen geeinigt hat.

Als erstes finden digital geführte Konsultationen mit chinesischen Forschern statt. Damit will das Team herausfinden, wohin man allenfalls reisen muss, um die Erkundungen zu vertiefen. Dabei stehen drei Fragen im Zentrum:

1. Welche Tiergattung stellt das Reservoir des Erregers dar? Erkenntnisse zum SARS-CoV und zu Ebola legen nahe, zuerst Fledermäuse zu untersuchen (Chinesische Hufeisennase). Falls sich der Fledermaus-Verdacht erhärtet, könnte man Maßnahmen gegen die weitere Verbreitung erlassen, wie beispielsweise das Verbot des Sammelns von Fledermauskot.

2. Welches Tier dient als Zwischenwirt? Die ursprüngliche Annahme, es sei ein Schuppentier, hat sich nicht bestätigt und steht nicht mehr im Vordergrund. Leendertz würde gerne die Pelztierfarmen genauer unter die Lupe nehmen. Zum Beispiel indem man feststellt, ob Fledermäuse in den Gebälken von solchen Farmen hausen.

3. Wo und wie ist das Virus auf den Menschen übertragen worden? Hierfür zöge man die Analyse von gefrorenen Blutproben erkrankter Personen heran. Da bei weitem nicht alle Infizierten erkranken, ist es praktisch unmöglich, den Träger 0 zu finden. Es ist sehr gut möglich oder gar wahrscheinlich, dass dieser keine Symptome aufwies und daher gar nicht auf dem Radar erscheint. In diesem Zusammenhang ist die Rolle des Wuhaner Lebendtiermarktes noch weiter zu beleuchten. Als Ursprung steht er kaum mehr in Verdacht, aber als Superspreader-Ort dürfte er eine bestimmte Rolle gespielt haben.

Diese Perspektive gefällt der chinesischen Regierung überhaupt nicht. Sie würde gerne den Fokus auf andere Aspekte lenken. Hier braucht es das diplomatische Geschick des Forscherteams, das immer wieder darauf hinweisen muss, dass die wissenschaftliche Beweislage den Erkenntnisprozess steuert und keineswegs politische Erwägungen. Also müssen die von China unter Verdacht stehenden Importe aus Indien und Italien genauso untersucht werden, wie Spuren, die allenfalls in ein Labor führen würden, was Leendertz aber als extrem unwahrscheinlich erachtet. Er meint lakonisch: »Ich halte mich an meine Expertise. Der Ursprung ist da, wo er ist.«

Teil II 

Die Forschungsreise des China-WHO-Joint Teams. Pressekonferenz vom 9. Februar: Krankenhäuser, Labore, Lebendtiermarkt. Wie befürchtet, versucht die chinesische Regierung die Untersuchungen zu beeinflussen. 10. Februar 2021

Endlich hat die Feldarbeit begonnen. Die ersten Eindrücke bestätigen die Erwartungen und unterstützen die bisherigen Erkenntnisse. Und enttäuschen die Anhänger der Laborthese. Es gibt noch viel zu tun. Doch die chinesischen Behörden verweigern Einsicht in wichtige Daten.

Anhand der Route der Expertengruppe, die aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern besteht, die einerseits von der WHO und andererseits von den chinesischen Behörden zusammengestellt wurde, kann der Gang der Ereignisse noch einmal kurz rekapituliert werden. Die Gruppe musste zuerst zähe politische Verhandlungen, etliche Kompromisse und Verzögerungen abwarten. Anschließend begannen die wissenschaftlichen Abklärungen, die Voruntersuchungen und endlose Videokonferenzen. Dann folgte die Anreise und eine Quarantäne. Endlich hat für die Spezialistinnen und Spezialisten die konkrete Feldarbeit begonnen.

Zuerst stand ein Besuch im Hubei Provincial Hospital of Integrated Chinese and Western Medicine auf dem Programm. Gemäß den chinesischen Behörden wurden dort am 27. Dezember 2019 Patienten mit »Pneunomie unbekannter Herkunft« behandelt. Das Team führte Gespräche mit Ärzten, Pflegepersonen und Patienten. Aus den Meldungen in der Presse und von der WHO geht nicht hervor, ob die Gruppe auch im Central Hospital von Wuhan vorbeischaute, wo die Notfallärztin Ai Fen zur selben Zeit Lungenkranke behandelte (Chronik einer angekündigten Katastrophe). Nach Medienberichten war sie es, die ihren Verdacht, dass es sich bei der Krankheit um eine unbekannte Art eines SARS-Virus handeln könnte, mit Kollegen teilte. U.a. mit dem Whistleblower Li Wenliang, der kritisch die Reaktionen des offiziellen Chinas kommentierte, dafür – wie übrigens Ai Fen auch – einen Maulkorb verpasst bekam und der im Februar 2020 an den Folgen einer Coronaerkrankung starb. Über einen We-Chat-Kanal gelangte die Nachricht nach Taiwan und schließlich zur WHO. Die Weltgesundheitsorganisation reagierte jedoch nicht unmittelbar. Einen Tag später informierten die chinesischen Gesundheitsbehörden die Öffentlichkeit und die WHO. Ebenfalls Medienberichten zufolge war es auch Ai Fen, die am 30. Dezember 2019 Gewebeproben von Patienten ins Wuhan Institute of Virology (WIV) schickte. Dort wurde das Virus von Shi Zhengli analysiert und als nicht bekannt und somit als neu taxiert.

Mit Spannung wurde der Besuch im WIV erwartet, ging es doch darum herauszufinden, ob es irgendwelche Anzeichen eines Laborausbruchs gibt. Das Medieninteresse war groß, die Mitglieder des Forscherteams wurden von zahlreichen Schaulustigen zum Institut eskortiert. Der Zoologe Peter Daszak von der EcoHealth-Allinance, der zur WHO-Gruppe gehört, kennt das Institut schon seit längerem. Er hat schon mehrfach mit der Virologin und sogenannten »batwoman« Shi Zhengli, die die Abteilung der Fledermausforschung leitet, zusammengearbeitet. Die im Institut befindlichen Virenstämme wurden kontrolliert, die Sicherheitsvorkehrungen geprüft und es wurde abgeklärt, ob es im Haus zu Zwischenfällen mit dem neuen Virus gekommen war.

Zudem fanden Gespräche mit dem lokalen Center of Desease (CDC) in Wuhan statt. Das Center wurde zu Beginn von verschiedenen Seiten – auch seitens der Regierung – für die unklare und nicht sehr stringente Reaktion auf den Ausbruch getadelt.

Schließlich ist dem bekannt gewordenen Huanan-Seafood-Market ein ausgedehnter Besuch abgestattet worden.

In einer Pressekonferenz wurden der Öffentlichkeit die ersten Erkenntnisse mitgeteilt. Für abschließende Urteile ist es noch zu früh, viele Fragen sind noch zu klären. Und es deuten sich ein paar Richtungen an, in die weiter geforscht werden muss.

Der Leiter der chinesischen Seite des China-WHO-Joint-Teams und Epidemiologe Liang Wannian sagt, das Virus stamme höchstwahrscheinlich aus einer zoonotischen Übertragung, der Wirt habe aber noch nicht identifiziert werden können. Der Beweis muss erst noch erbracht werden, ob tatsächlich – wie vermutet – Fledermäuse die Träger des Virus› sind. Weitere Untersuchungen sind nötig, um herauszufinden, welcher Zwischenwirt zwischen dem Virusträger und dem Menschen stehen könnte. Ob es sich um Schlangen, Schuppentiere, Katzen oder ein anderes Tier handelt, ist nicht bekannt.

Der Leiter der WHO-Gruppe Peter Ben Embarek sagt zusammenfassend, das gemeinsame Team von China und der WHO habe vier mögliche Wege untersucht, wie das Virus auf den Menschen gekommen sei. Erstens: das Virus sei direkt vom Tier auf den Menschen übergesprungen. Zweitens: das Virus habe sich von einem Tier auf einen Zwischenwirt und dann auf den Menschen übertragen. Drittens: das Virus sei durch die Kühlkette transportiert worden und beispielsweise in Lebensmitteln unter die Menschen gelangt. Und viertens: das Virus sei aus einem Labor ausgebrochen.

Letztere Möglichkeit könne nach dem Besuch des WIV mit sehr großer Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden (Laborthese). Was außer ein paar Verschwörungsgläubigen niemanden überrascht.

Alle anderen Ansätze werden weiterverfolgt.

Der direkte Weg vom Ursprungswirt auf den Menschen dürfte eher unwahrscheinlich sein, kann aber nicht ausgeschlossen werden. Mit dem Tiermediziner Fabian Leendertz sitzt immerhin jener Forscher in der WHO-Gruppe, der 2014 in Guinea eine direkte Infizierung identifizierte (siehe oben: Ebola-Virus).

Auch die Übertragung über gekühlte Lebensmittel auf dem Huanan-Seafood-Market dürfte eher nicht der Ursprung sein. Es gab höchstwahrscheinlich schon vor den ersten Fällen, die im Umkreis des Marktes auftraten, andernorts Ansteckungen mit dem SARS-CoV-2. Bereits im Mai 2020 wurde eine entsprechende Studie einer Forschergruppe im The Lancet Ref. publiziert. Auch Wannian gab zu Protokoll, dass es schon am 8. Dezember 2019 eine Corona-Infektion gegeben habe, beim Betroffenen aber keine Verbindung zum Markt nachgewiesen werden konnte. Ursprünglich hätte die chinesische Seite zwar diese Variante bevorzugt, aber zurzeit ist die Beweislage nicht sehr vorteilhaft für sie. Gleichwohl wurden diverse Proben von Lebensmitteln und anderen möglich Virenträgern geprüft und gesichert. Die Untersuchungen an dieser These werden weitergehen. Im Vordergrund dürfte allerdings die Frage stehen, wie der Markt zu einem Spreadingort geworden ist. SARS-infizierte Tiere, die dort lebend gehandelt wurden und allenfalls als Zwischenwirte hätten dienen können, können wohl kaum mehr eruiert werden. Nicht zur Sprache kam, inwiefern die SARS-Spuren, die auf dem Markt schon früher identifiziert worden sind, einzuordnen sind.

So steht wie erwartet und von der Forschergemeinschaft schon mehrfach erwähnt und unterlegt die zoonotische Übertragung im Vordergrund (Zoonose). Embarek und Wannian scheinen sich diesbezüglich einig zu sein.

Zudem – und dafür hat sich vor allem die chinesische Seite stark gemacht, die den Ursprung im Ausland orten will – sind sich alle einig, dass die Suche ausgeweitet werden muss. So kündete auch der US-amerikanische Forscher Peter Daszak an, dass er in Kambodscha weitere Feldarbeit in Angriff zu nehmen gedenke.

In diesem Zusammenhang sei auf eine Studie verwiesen, die einen Tag früher in nature publiziert wurde. Ein international zusammengesetztes Team unter der Leitung von Thiravat Hemachudha und Lin-Fa Wang untersuchte in verschiedenen Ländern Südostasiens Genomsequenzen. Sie führten molekulare und serologische Untersuchungen mit SARS-CoV-2 verwandten Coronaviren durch, die aktiv in Fledermäusen in Südostasien zirkulieren. Ganze Viren-Genomsequenzen wurden von fünf voneinander unabhängigen Fledermäusen (Hufeisennase: Rhinolophus acuminatus) in einer thailändischen Höhle identifiziert. Sie glichen stark einem Virus-Genom einer Rhinolophus malayanus, das in Yunnan gefunden wurde, und das als der bisher engste Verwandte des SARS-CoV-2 gilt. SARS-CoV-2 neutralisierende Antikörper wurden zudem bei Fledermäusen derselben Kolonie und bei einem Schuppentier an einem Wildtierkontrollpunkt in Südthailand nachgewiesen. Der geografische Bereich, der untersucht werden muss, erstreckt sich laut Thiravat Hemachudha und Lin-Fa Wang somit von Japan/China bis nach Thailand.

Es gibt noch viel zu tun.

Nachtrag 15. Februar 2021

Der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Biden Jake Sullivan zeigt sich in einem Statement (Quelle: Twitter) besorgt darüber, dass die Expertengruppe der WHO auf ihrer Forschungsreise in China nicht zu allen erwünschten Informationen freien Zugang hatte. Sullivan: »Es ist zwingend erforderlich, dass dieser Bericht unabhängig ist und die Ergebnisse der Experten nicht von der chinesischen Regierung beeinflusst oder verändert werden.« Es handelt sich vor allem um die Einsicht in Rohdaten, die die allerersten 174 festgestellten Fälle von Anfang und Mitte Dezember 2019 betreffen. China gewährt lediglich Einblicke in die eigenen Untersuchungen jener Daten. Das verhindert eine unabhängige und genauere Analyse der Anfangszeit der Pandemie. Die Virologin Marion Koopmans von der WHO-Gruppe versucht derweil, auf Blutbanken aus der Provinz Wuhan zurückgreifen zu können, um eigene Untersuchungen vorantreiben zu können.

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Der Pandemieplan Schweiz, in der aktuellen Fassung der Influenza-Pandemieplan Schweiz 2018, ist ein Planungsinstrument, das Strategien und Massnahmen zur Vorbereitung der Schweiz auf eine (Influenza-)Pandemie dokumentiert. Er wird von der Eidgenössischen Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP) und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) herausgegeben.

Der erste Pandemieplan für die Schweiz wurde von einer Arbeitsgruppe unter Leitung von Robert Steffen ausgearbeitet. Die Vorarbeiten wurden 1995 begonnen; der erste schweizerische Influenza-Pandemieplan wurde im Jahr 2004 veröffentlicht. Ein zentrales Anliegen sei laut Steffen dabei gewesen, dem Bund die Führung zu überlassen.

Nach den Erfahrungen in der Bewältigung der Influenza-Pandemie 2009 wurde der Schweizer Pandemieplan vollständig revidiert.

Kristian G. Andersen et al, The proximal origin of SARS-CoV-2, 

(abgerufen am 2.5.2020)