Blick in den Osten

Viele Länder in Ostasien und Ozeanien kommen erfolgreicher durch die Krise
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Wieso machen es die Länder in Ostasien und Ozeanien besser als Europa und die USA?, fragt sich die FAZ und konsultiert seine Korrespondenten. Auch die NZZ geht auf die Situationen in Ostasien ein und drei Tage später noch genauer auf jene in Japan und Südkorea. Nature.com schließlich verweist auf einen Artikel in der Japan Times, der die Schwierigkeiten der Clusterstrategie beschreibt. Oktober/November 2020.
Daibutsu im Todai-ji

Vermutlich dürften das genaue Contact Tracing und die konsequente Bekämpfung von Clustern die Hauptgründe sein, dass viele Länder in Ostasien und Ozeanien erfolgreicher durch die Krise kommen. Zudem haben die Erfahrungen mit SARS-1 die Leute sensibilisiert. In den westlichen Ländern und den USA hat man es verpasst, aus diesen Erfahrungen Lehren zu ziehen. 

Eines der interessanteren Rätsel rund um das Coronavirus ist die Frage, weshalb trifft es einige Regionen mehr und andere bleiben weitgehend verschont. Die Antwort ist nicht bekannt. Es war schon bei der ersten Welle im Frühjahr 2020 schwer nachvollziehbar, dass einige Regionen wie etwa Mittel- und Zentraleuropa sowie Süditalien wenig bis kaum betroffen waren, in Spanien, Frankreich, Norditalien, Belgien, den Niederlanden oder dem Vereinigten Königreich jedoch kritische Verhältnisse herrschten. Dazwischen, etwa in Schweden und in der Schweiz, war die Situation kritisch, aber nicht katastrophal. Und dann gibt es Regionen in der Welt, in denen nach einem kurzen, mehr oder weniger heftigen Aufflammen der Pandemie die Zahl der Todesopfer und Infizierten wieder markant gesunken sind.

Die FAZ gibt am 20. November 2020 einen Überblick: In Taiwan etwa gab es seit über 220 Tagen keine einzige Neuinfektion. Allerdings gibt es keine einheitliche Strategie, die man als asiatisch bezeichnen könnte. Die Länder haben sehr unterschiedlich reagiert und die Spannweite zwischen einem autokratischen System wie in China bis zu funktionierenden Demokratien wie in Taiwan und Südkorea ist groß. Und Neuseeland und Australien können ohnehin nicht als asiatische Länder eingestuft werden. Aber auch Indien, das allerdings in der weiteren Betrachtung nicht weiter berücksichtigt wird, ist bisher besser davongekommen. Wobei neuere Entwicklungen ein düsteres Bild auf dem Subkontinent zeichnen. Sicherlich ist die Qualität der Daten nicht überall auf dem gleichen Niveau, auch die Informationen fließen nicht überall gleich.

Ein paar Gemeinsamkeit können gleichwohl festgehalten werden:

Erstens haben alle Länder die Grenzen sehr früh geschlossen, teilweise betraf das auch Binnengrenzen zwischen Regionen in Australien und China. Ein Flugzeug aus Südaustralien, das in Westaustralien landete, wurde noch auf dem Rollfeld angehalten und wieder zurückgeschickt. Auch Züge mussten wieder umkehren.

Zweitens werden in den asiatischen und ozeanischen Ländern Quarantäne-Vorschriften konsequenter eingehalten. Das schreckt Leute ab, überhaupt zu reisen.

Drittens werden die Kontaktdaten viel genauer erfasst und in allen Ländern wird telefonisch rekonstruiert, wo sich die Infizierten aufgehalten haben. Die Nachverfolgung ging in gewissen Staaten sehr weit, die Quellen von Big Data wurden zuweilen großzügig angezapft. Der Datenschutz wurde nicht überall gewährleistet. Zuweilen wurden bestimmte Gruppen diskriminiert. Schon sehr früh wurde erkannt, dass die sogenannten Cluster bei der Ausbreitung eine entscheidende Rolle spielen. Das Contact Tracing hat hierbei viel besser funktioniert. Hilfreich war zudem, dass das Tragen von Masken in vielen asiatischen Ländern bereits Gewohnheit ist, man schützt sich seit längerem mit einem Nasen-Mund-Schutz, unter anderem gegen die Luftverschmutzung. Aber auch die Erfahrungen mit dem SARS-CoV unterstützten die Masken-Disziplin. Gerade die Achtlosigkeit der westlichen Welt gegenüber den Erkenntnissen, die in Asien nach SARS-CoV gewonnen wurden und zum Teil auch in wissenschaftlichen Publikationen greifbar waren, ist kaum erklärbar.

Völlig unterschiedlich wurden aber die Lock- bzw. Shutdowns gehandhabt. Alle Varianten waren relativ erfolgreich. Oftmals wurden schon kleinste Ausbrüche vehement mit drastischen Maßnahmen bekämpft. Aber eben, es ist äußerst schwierig, genau herauszufiltern, welche Maßnahmen welche Folgen zeitigten. So schließt den der Artikel mit der hier ausführlich zitierten Feststellung, dass es kein Patentrezept gibt: »Reichen solche asiatischen Erfahrungen für Blaupausen für Deutschland oder Europa? Wohl kaum. Doch sie zeigen: Es lohnt sich, in der Pandemie auf die Länder im Fernen Osten zu schauen, die es besser gemacht haben. Zumindest hilft der Vergleich, Vorurteile zu korrigieren. Japan, das Land mit der ältesten Bevölkerung der Welt, belegt, dass die italienische Covid-Misere nicht der Überalterung Norditaliens geschuldet ist. Japan führt auch die These ins Absurde, dass Erfolge gegen das Virus drastische Eingriffe in die Privatsphäre und Freiheitsrechte oder breite Verstöße gegen (westliche) Datenschutznormen bedingen. Die westlichen Demokratien Australien und Neuseeland widerlegen, dass eine gelungene Virenbekämpfung eine konfuzianisch geprägte Grundeinstellung des Landes oder gar asiatische Gene voraussetzt. Großbritanniens Covid-Leiden zeigt im Vergleich etwa zu Taiwan, dass eine Insellage per se noch keinen Erfolg gegen das Virus verspricht. Das erfolgreiche Thailand widerlegt, dass nur Inseln die Grenzen weitgehend schließen können. Nicht zuletzt demonstrieren Seoul und Singapur, dass selbst eine weit höhere Bevölkerungsdichte als in Brüssel oder Berlin nicht zwingend zur Covid-Katastrophe führen muss.«

Die NZZ berichtet, dass am 31. Oktober 2020 in Taiwan 130’000 Menschen zur LGBTQ-Parade zusammengefunden haben. Nach über 200 Tagen ohne Ansteckungen und insgesamt 7 Todesfällen seit Beginn der Pandemie. Die Lockdowns waren in dieser Weltgegend eher streng, man wollte Zeit gewinnen, um die Infrastruktur für die Bekämpfung aufzubauen. Diese Zeit wurde – im Gegensatz zu manchen westlichen Ländern – genutzt. Zudem wurde großes Augenmerk auf das schnellstmögliche Austreten der Glutnester von Clustern gelegt. Weiters wurde viel mehr getestet, die Infektionsketten wurden viel konsequenter zurückverfolgt und gegenüber digitaler Technologien, die das Tracing unterstützen, zeigte man sich viel offener. Die Länder setzten auf das Unterdrückungsmodell, sie hatten nach dem SARS-CoV-Ausbruch 2003 gelernt.

Es stehen also zwei Modelle gegenüber: auf der einen Seite das bis jetzt erfolgreich eingesetzte Unterdrückungs- oder Suppressionsmodell und auf der anderen Seite das Eindämmungs- bzw. Influenzamodell, das davon ausgeht, dass man die Pandemie abschwächen, aber letztlich eine globale Durchseuchung nicht verhindern kann. In Europa und Amerika hat man lange nicht richtig realisiert, dass eigentlich zwei Modelle angewandt werden könnten. Allerdings erfordert die Suppressionsstrategie schnelles und konsequentes Eingreifen. So ist man logischerweise auf dem Pfad der Eindämmung gelandet. Man sagt achselzuckend, in Ostasien handle es sich ja zum Teil um Inseln, die ohnehin besser isoliert seien, oder um Autokratien, in denen demokratische Regeln ausgehebelt worden sind. Das ist wenig differenziert, denn man ignoriert, was in Ostasien wirklich besser gemacht wird. »Die intuitive Polemik«, schreiben die drei Autoren, »gegen das autoritäre Regierungssystem Chinas und das hartnäckige Ausblenden der asiatischen Erfolgsmodelle lassen sich am besten mit dem Begriff des epidemischen Orientalismus erklären. Er beschreibt eine Geisteshaltung, die jegliches Lernen vom Gegenüber ausschliesst, weil das orientalische Andere als fremd und minderwertig gilt.« Dabei verpasse man eine gute Chance, von anderen zu lernen. Man fühlt sich gegenüber den anderen überlegen. Wohin das geführt hat, zeigt sich gerade sehr deutlich in dieser zweiten Welle.

Am 24. November 2020 berichtet die NZZ, dass gleichwohl in Südkorea und Japan dritte Wellen am Anrollen sind. Aber was heißt schon dritte Welle: In Seoul wurde die dritthöchste Alarmstufe ausgerufen. Versammlungen von über hundert Personen sind nicht mehr erlaubt, Nachtclubs bleiben geschlossen und Homeoffice wird wieder empfohlen. Japan weist höhere Zahlen aus, geht aber mit den Maßnahmen nicht so weit. Die Wirtschaft wird nicht heruntergefahren. Und wie lauten die Zahlen? Südkorea meldet bei 51 Millionen Einwohnern 300 Fälle pro Tag, in Japan mit 126 Millionen Einwohnern gab’s letzte Woche einen neuen Rekordwert: 2596 Fälle an einem Tag (zum Vergleich: die Schweiz mit 8,5 Millionen Einwohnern zählt in der Woche 47 durchschnittlich 4’306 Infektionen, nach über 5’600 die Woche davor). Grundsätzlich wird in den beiden Ländern weiter am Unterdrückungsmodell festgehalten. Mit gutem Grund: Südkoreas Notenbank rechnet für 2020 mit einem Wirtschaftsrückgang von gerade mal 1,3 Prozent. Diese Strategie hat sich also auch ökonomisch bewährt. Japan ist gezwungen, die Zahlen zu drücken, die Anzahl von Covid-tauglichen Pflegebetten ist tiefer als in Europa. Experten warnen jetzt, dass die Nachverfolgung von Clustern nicht mehr einwandfrei funktioniere, bei der Hälfte der Fälle seien die Infektionswege nicht mehr bekannt. Der beginnende Winter und die vermehrte Mobilität der Menschen haben zu dieser Verschlechterung der Situation geführt.

Nature.com verweist am 24. November 2020 auf einen Artikel in der Japan Times, der das oben Gesagte bestätigt. Die dortigen Gesundheitsexperten sind beunruhigt, dass die bis anhin erfolgreiche »aggressive« Zurückverfolgung von Clustern, das sogenannte »Japan Model« (internationale Lage der Pandemie), ans Limit gelangt sei und die Kontrolle über die Infektionswege zunehmend verloren gehe. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass in der dritten Welle sich die Cluster an immer unterschiedlicheren Orten bilden. Das erinnert an das Bild vom Schwellenbrand (Perkolation), der sich ausbreitet und dann plötzlich überall aufflammt. Die Cluster seien nicht mehr nur in Restaurants, Clubs, Karaokebars etc. festzustellen, sondern auch in medizinischen Einrichtungen, am Arbeitsplatz und in ausländischen Gemeinschaften. Ein weiteres Problem stellen Streichungen von Arbeitsplätzen in Gesundheitszentren dar. Hier konzentriert sich zurzeit die Clusterbekämpfung vor allem auf Einrichtungen für ältere Menschen. Ein Regierungsberater sagt, dass ein Ausbruch unter diesen Bedingungen nicht unter Kontrolle gebracht werden könne, die Regierung müsse entschlossen handeln und etwa Reiseeinschränkungen erlassen.

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Der Pandemieplan Schweiz, in der aktuellen Fassung der Influenza-Pandemieplan Schweiz 2018, ist ein Planungsinstrument, das Strategien und Massnahmen zur Vorbereitung der Schweiz auf eine (Influenza-)Pandemie dokumentiert. Er wird von der Eidgenössischen Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP) und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) herausgegeben.

Der erste Pandemieplan für die Schweiz wurde von einer Arbeitsgruppe unter Leitung von Robert Steffen ausgearbeitet. Die Vorarbeiten wurden 1995 begonnen; der erste schweizerische Influenza-Pandemieplan wurde im Jahr 2004 veröffentlicht. Ein zentrales Anliegen sei laut Steffen dabei gewesen, dem Bund die Führung zu überlassen.

Nach den Erfahrungen in der Bewältigung der Influenza-Pandemie 2009 wurde der Schweizer Pandemieplan vollständig revidiert.

Kristian G. Andersen et al, The proximal origin of SARS-CoV-2, 

(abgerufen am 2.5.2020)