Aus der Familiengeschichte: Ein wunderlicher Fund (9)

Teil 9: Ein Zeitungsartikel
Huber findet in einer Münchner Postille einen informativen Artikel.

(Über den Link Adlerfibel können alle Folgen angeklickt werden.)

Das Gespräch mit Ruth nährte Hubers Neugier. Er machte sich auf die Suche nach mehr Informationen. In einer Bibliothek stöberte er durch alte Zeitungen. Und siehe da, in einem Münchener Boulevardblatt fand er einen überraschend langen Hintergrundartikel zum Tod von Rudolf Lunewitz. Er ließ sich eine Kopie vom Mikrofilm ausdrucken.

27. Juni 1951

Das tragische Ende eines Hochstaplers – und viele offene Fragen

Der Ober eines Luxushotels in Verona staunte nicht schlecht, als sich ein gediegener und edel gewandeter Herr aus Deutschland das teuerste Menü, garniert mit Trüffeln aus Alba, begleitet vom exquisitesten Wein des Kellers und gefolgt vom edelsten Grappa aus dem Regal reichen ließ. Das Trinkgeld, das der Unbekannte hinterlegte, sprengte alle Vorstellungen der an manche Ausschweifungen gewöhnten Hotel-Mannschaft. Allein, das Personal wusste an diesem Abend noch nicht, dass man den spendablen Fremden am nächsten Morgen erschossen durch die eigene Hand unter dem Balkon von Romeo und Julia mitten in der romantischen Altstadt finden würde. Die Hotelrechnung hatte er nicht beglichen. Das tragische Ende des Münchener Hochstaplers Rudolf Lunewitz hätte theatralischer nicht sein können.

Verurteilt als Fälscher

Rudolf Lunewitz war in seiner Heimatstadt eine bekannte Größe. Regelmäßigen Gästen der gediegensten Restaurants der Isar-Metropole dürften dem geistreichen und charmanten Lebemann mehrfach begegnet sein, die äußere Erscheinung des Frauenschwarms war extravagant, er war nicht zu übersehen. Seine Fingernägel waren immer akkurat geschliffen, sein wallendes Haar gekonnt gebändigt. Berühmt geworden ist der gewiefte Kaufmann und einflussreiche Kunsthändler altgermanischer Fundstücke in einem aufsehenerregenden Prozess am Landgericht München, das ihn 1940 und – nach einer Wiederaufnahme des Verfahrens – 1942 zu fünf Jahren Haft verurteilt hatte, weil er gefälschte Kunstobjekte unter seine vermögenden, aber ahnungslosen Kunden gebracht hatte.

Als Kunsthändler konnte er sich nach dieser Verurteilung nicht mehr in der Öffentlichkeit zeigen, war es ihm doch zusätzlich fünf Jahre lang untersagt, seinem geliebten Beruf nachzugehen. Also, so haben wir diese Tage erfahren, wickelte er seine Geschäfte im Verborgenen ab. Im Bel Paese wollte er die geheimnisumwitterte »Adlerfibel von Tieschkowitz« und den sogenannten »Schatz von Schirak«, die beide im Prozess am Landgericht München im Zentrum standen, einem italienischen Großindustriellen verkaufen. Diesen traf er am 17. Juni in Verona zu einem Mittagessen. Lunewitz verlangte für den ganzen Schatz und die Fibel stolze 350’000 Mark. Mit diesem Geld, so teilte er dem italienischen Firmenboss prahlsüchtig mit, wolle er sich nach Amerika absetzen und eine riesige Ranch in Kalifornien kaufen. Nach dem Gespräch mit Lunewitz winkte der Interessent allerdings ab, er zog sein Angebot zurück. Ihm fehlten, so gab er der Polizei zu Protokoll, die nötigen Unterlagen, die ihm die Echtheit des Schatzes garantiert hätten.

Mit altgermanischer Kunst reich werden

Wir blättern zurück in die späten dreißiger Jahre. Kunstgegenstände und Schmuck aus der Völkerwanderungszeit waren im Antiquitätenhandel zu jener Zeit äußerst gefragt. Die in Bremen beheimatete Gesellschaft »Alte deutsche Kunst« (ADK) war bemüht darum, möglichst viele dieser wertvollen Objekte anzukaufen und an reiche Privatpersonen und an Museen weiter zu vermitteln. In diesem Umfeld bewegte sich der Münchner Kunsthändler Dr. Dietrich Fränklein, der gut befreundet war mit Rudolf Lunewitz. Dr. Fränklein gelangte eines Tages an Dr. Johannes Deutz von der ADK und bot ihm als erstes eine goldene Scheibenfibel aus Gotland an, die als echt befunden und von Dr. Deutz umgehend erstanden wurde. Kurz darauf erschien in der Fachzeitschrift »Germanenerbe« ein Artikel des umtriebigen Kunsthistorikers Benjamin van Thoma über den aufsehenerregenden Fund einer altgermanischen Adlerfibel in der Region von Tieschkowitz in Mähren, die er als eine der »kostbarsten und herrlichsten Werke altgermanischer Kunst« pries. Dieses breit beachtete Gutachten bewog das Reichministerium des Inneren sofort dazu, den Fund als »national wertvollen Kunstgegenstand« zu erklären. Bald darauf setzte sich Dr. Fränklein, angespornt von seinem ersten Verkaufserfolg der Gotlandfibel, erneut mit Dr. Deutz in Verbindung und teilte ihm mit, er könne der ADK dieses besonders wertvolle Stück aus Tieschkowitz vermitteln. Dr. Deutz hatte keine Ahnung, dass der eigentliche Anbieter und Nutznießer nicht Dr. Fränklein, dem als Strohmann eine Provision winkte, sondern Rudolf Lunewitz war, der bei der ADK auf einer schwarzen Liste stand. Dr. Deutz wusste nicht, dass der Privatgelehrte Benjamin van Thoma nicht etwa unabhängig, sondern der Dritte im Bunde war, er also unter derselben Decke steckte wie Lunewitz und Fränklein. Nichtsahnend kaufte Dr. Deutz für das Germanische Museum in Nürnberg die prachtvolle Adlerfibel für 42’000 Reichsmark, fortan konnte sie in Nürnberg bewundert werden.

Die Präsentation der Fibel mit dem Vermerk »5. Jahrhundert n. Chr.« im Museum zog viel Publikum an und einige Aufmerksamkeit auf sich. Unter anderem soll sich Hermann Göring darum bemüht haben, die Fibel dem Führer zum Geburtstag zu schenken. Er hatte sie persönlich geprüft. Darüber, warum es nicht dazu gekommen war, kann nur gemutmaßt werden. Eine mögliche Erklärung machte die Runde, der Führer hege eine Vorliebe für Gegenstände aus der römischen Antike, altgermanische Kunst habe er stets übergangen und völkische Germanenforschung anderen überlassen.

In der von SS-Chef Heinrich Himmler unterstützten Fachzeitschrift »Germanien« erschien kurz darauf ein Bericht eines Wiener Professors über einen bei Schirak im nordungarischen Komitat Nograd gefundenen Goldschatz aus der gleichen Zeit wie die Adlerfibel. Erneut tritt der selbsternannte Experte van Thoma auf den Plan und verfasst ein Gutachten über den sogenannten »Schatz von Schirak«. Dank dieser Abhandlung bekommt Lunewitz als Vermittler des Schatzes von einem Bankhaus einen Betrag von 15’000 Reichsmark, um dieses Konvolut für eben dieses Haus kaufen zu können. Er streicht eine satte Provision von 3’000 Reichsmark ein.

Wissenschaftler sprechen Klartext

Diese beiden spektakulären Funde weckte die Neugier von wissenschaftlich kundigen Fachleuten aus der kunsthistorischen Gilde. Das Germanische Museum zu Nürnberg willigte ein, eine sowohl kunsthistorisch-stiltheoretische als auch eine physikalisch-chemische Analyse von unabhängiger Seite von der Adlerfibel vornehmen zu lassen. Daneben wurde im Einverständnis des Bankhauses der »Schatz von Schirak« genauer untersucht. Ein ausgewiesener Fachmann für diese Periode der Völkerwanderung war Professor Hermann Zobel von der Universität München, er kam zum Schluss: »Zuviel Gold«, und: »Zu plump gearbeitet.« Professor Carl Neuhofen, Vor- und Frühhistoriker und Chemiker aus Köln, fügte hinzu: »Das Goldblech ist chemisch so rein, dass es wohl aus der Goldscheideanstalt Degussa in Frankfurt mit modernsten Mitteln hergestellt worden ist.« Die Verdachtsmomente, dass die Adlerfibel gefälscht war, verdichteten sich. Neuhofen erstattete Anzeige und Rudolf Lunewitz wurde, nachdem er in einem ersten Prozess vor dem Landgericht München schon verurteilt worden war, auch, wie bereits erwähnt, in zweiter Instanz schuldig gesprochen. In diesen beiden Prozessen wurde im Weiteren der »Schatz von Schirak« als Teil-Fälschung entlarvt. Das Gutachten des van Thoma, der von renommierten Gelehrten des bedeutenden »Reichbunds für Vor- und Frühgeschichte« sekundiert wurde, wurde als falsch abgewiesen.

Rudolf Lunewitz wanderte hinter Gitter. Und was geschah mit Benjamin van Thoma? Er fürchtete um seinen Ruf und trat aus der Verteidigung kommend zum Angriff über. »Schauprozess!«, ließ er sich lauthals vernehmen. Die Gestapo und Himmler hätten ein »Kesseltreiben« gegen Lunewitz, gegen ihn und nicht zuletzt gegen die gestandenen Professoren des »Reichsbunds« veranstaltet und damit versucht, die Richter und den Prozess in grobfahrlässiger Weise zu beeinflussen. Die »makellos begründeten« Gutachten des »hoch angesehenen Reichsbund« seien vorsätzlich nicht berücksichtigt worden. Dem entgegnete der Oberlandesgerichtsrat Steidl lakonisch: »Wir haben sehr wohl die Echtheitserklärungen des Reichbundes in unsere Abklärungen mit einbezogen, die Gegenseite um die Professoren Zobel und Neuhofen hat uns allerdings mit ihrer Argumentation überzeugen können. Von Beeinflussung und einem einseitigen Kesseltreiben kann in unserer Urteilsfindung nicht die Rede sein.« Van Thoma schäumte vor Wut und unterstellte dem Gericht, Erfüllungsgehilfen der SS zu sein. In der Zwischenzeit wurde Dr. Fränklein ins Heer eingezogen. Er starb an der Ostfront.

Seltsame Wendungen nach dem Krieg

Was geschah danach? Rudolf Lunewitz kam 1949 aus der Gefangenschaft zurück, schlüpfte in die Opferrolle und forderte als »Nazi- und SS-Verfolgter« »Wiedergutmachung«, die darin bestand, von der bayerischen Regierung die konfiszierten Objekte zurückzuerhalten. Der nationalsozialistische Unrechtsstaat habe die Fälschungen 1942 beschlagnahmt, aber nach dem Untergang des »Verbrecher-Regimes« falle jene Weisung dahin, das Fundgut gehöre wieder ihm, ließ der Hoffnung schöpfende Ex-Häftling verlauten. Aus bisher noch ungeklärten Gründen wurden dem dreisten Antragsteller tatsächlich ein paar der verwahrten Kostbarkeiten ausgehändigt, darunter auch der »Schatz von Schirak«, nicht aber die Tieschkowitzer Adlerfibel, die fand sich nicht in den Beständen. Kurz darauf begann der verschlagene Geschäftemacher erneut, mit altgermanischen Kunstgegenständen zu handeln. Für gewöhnlich setzte er nichts ahnende Strohmänner, und wenn es sein musste, um zum Beispiel einen besonders reichen Kunden zu bezirzen, auch attraktive Strohfrauen ein. Das klappte eine Weile lang gut.

Wie aber wurde Lunewitz der Adlerfibel wieder habhaft? Wo war diese hingekommen? Das goldene Edelstück war kurz vor Ende des Krieges von Himmler persönlich angefordert worden. Der Reichsführer SS ließ sie vom Münchner Polizeipräsidium nach Schloss Berg am Starnberger See bringen. Aus Briefen an Neuhofen – Zobel wurde ebenfalls Opfer des Kriegsgeschehens – gibt es Hinweise dafür, dass Himmler sie erneut vom Kölner Professor habe begutachten lassen wollen, jedoch unter der Voraussetzung, dass Neuhofen sie als echt erklären würde. Natürlich drückte sich der Reichsführer nicht so deutlich aus, in einem Brief eines Assistenten lässt er ausrichten, ob nicht »bisher noch nicht berücksichtigte Fakten ein Urteil in einem anderen Licht erscheinen lassen würde«. Seltsame Wendungen schienen sich anzubahnen. Indes: der Kölner Professor lehnte ab. Aus wissenschaftlichen Erwägungen und aus Reputationsgründen kam eine Neubeurteilung, die gegen seine früheren Schlussfolgerungen sprechen würde, für ihn nicht in Frage. Woher aber rührte dieser Sinneswandel von ganz oben? Vielleicht liegt die Erklärung darin: Die Experten des »Reichsbund für Vor- und Frühgeschichte« hatten gegen die Professoren Zobel und Neuhofen den Kürzeren gezogen, das »Amt Rosenberg«, unter dessen Fuchtel der »Reichsbund« war, war desavouiert worden und stand erheblich geschwächt da. Heinrich Himmler musste seinen schärfsten Konkurrenten Alfred Rosenberg also nicht mehr fürchten, er hatte den Machtkampf für sich entschieden. Eine Echtheitserklärung für die altgermanische Fibel wäre seinem Hang zum fast mystisch anmutenden Germanenkult entgegengekommen.

Was geschah mit der sagenumwobenen Adlerfibel auf Schloss Berg? Das Kriegsende nahte, die Querelen um das umstrittene Schmuckstück traten in den Hintergrund, wurden schließlich belanglos. Die Schatulle mit der Adlerfibel wurde im Garten des Schlosses vergraben. Als 1949 die amerikanische Militärregierung Grabungen im Park vornahm, fand sie das Loch, in dem der Schatz vermutet wurde, leer auf.

Ungelöste Rätsel

Die oben gestellte Frage kann also nicht beantwortet werden: Es bleibt sein Geheimnis, wie Rudolf Lunewitz in den Besitz der Fibel kam. Hatte er sie selbst ausgegraben? Woher wusste er, dass sie im Schlosspark versteckt wurde? Hatte er Komplizen bei der Polizei? Gab es einen Verräter?

In den letzten beiden Jahren wurde es ruhiger um den einst umschwärmten Kunsthändler. Man bekam ihn kaum mehr zu Gesicht. Seinem aufwendigen Lebensstil konnte er in der Öffentlichkeit nicht mehr frönen, die Geschäfte liefen trotz emsigem Bemühen schlecht, das Vermögen schmolz dahin wie Schnee in der Frühjahressonne. Versuche, den Schirak-Schatz und die Goldfibel zu veräußern – einmal sogar nach Amerika –, schlugen allesamt fehl, allzu bekannt war die Geschichte um die Fälschungen. Dem Namen Lunewitz haftete ein für ihn verhängnisvoller Makel an. War seine Verzweiflung, die ihn in den Tod trieb, rein beruflicher Art? War seine finanzielle Lage so schwerwiegend, dass er sich umbringen musste? Sagte er sich, dieser Versuch in Verona sei seine letzte Gelegenheit, um das Steuer noch herumzureißen? Haderte er mit dem Schicksal, das von seinem ramponierten Ruf als Kunsthändler gezeichnet war?

War es Liebeskummer?

Oder liegen die Motive der Selbsttötung ganz woanders? Was hat es für eine Bewandtnis, dass er sich so pathetisch unter dem Balkon von Romeo und Julia das Leben nahm? Es ist bekannt, dass er sich von seiner Geliebten, einer gefeierten Operndiva, deren Namen zu ihrem Schutze hier nicht genannt sein will, vor einiger Zeit getrennt hatte. Wobei die Schuld größtenteils bei ihm liegen dürfte, galt er doch als stadtbekannter Schürzenjäger.

Allein: Wir wissen nichts Genaues.

Und: Die fraglichen Wertsachen fanden sich nirgends im Gepäck von Lunewitz. Wo befinden sich der »Schatz vor Schirak« und die Adlerfibel von Tieschkowitz jetzt?

Fortsetzung hier.

Hier geht’s zu Teil 1 des Kunstskandals.

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Nach den Erfahrungen in der Bewältigung der Influenza-Pandemie 2009 wurde der Schweizer Pandemieplan vollständig revidiert.

Kristian G. Andersen et al, The proximal origin of SARS-CoV-2, 

(abgerufen am 2.5.2020)