Am Anfang stand Venedig

Splitter aus der Serenissima
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Eigentlich war eine Reise nach Venedig geplant. Eine Arbeit an einem Projekt war ins Stocken geraten. In solchen Situationen haben Abstecher in die Stadt, die auch die Serenissima genannt wird, fast immer geholfen. Die Reise wurde abgesagt. Und dann begannen die kurzen Meldungen von Franca. Sie kümmerte sich jeweils um die Wohnung.
Geschlossene Fensterläden
Leerer Markusplatz

24. Februar 2020: Beginn der Quarantän-Aufzeichnungen

Eigentlich war eine Reise nach Venedig geplant. Die Arbeit an einem Projekt ist ins Stocken geraten. In solchen Situationen haben Abstecher in die Stadt, die auch die Serenissima genannt wird, fast immer geholfen. Der Name ist Programm: »sereno« bedeutet heiter, unbeschwert, aufgeräumt. Diese Stimmung hatte sich jeweils schnell eingestellt und sich auf Sinn und Geist übertragen. Ein aufgeklappter Computer am Esstisch der Wohnung. Es ist absolut still. Die Touristenmassen sind weit weg. Die aufheulenden Vaporetti ebenfalls. Immer wieder verblüffend, dass man in eine Gasse abzweigen kann und eine Minute später ist man weg von allem. Manchmal läuten die Glocken der Kirchen von San Pantalon oder von Santa Maria Gloriosa dei Frari. In den ehemaligen zwei Franziskaner-Klöstern der Letzteren befindet sich heute das venezianische Staatsarchiv. Klausen. Auch das Esszimmer hätte wieder zur Klause werden sollen. Ideale Bedingungen, um vorwärtszukommen. Aber der Konjunktiv bleibt. Die Reise wird abgesagt. Franca, die die Wohnung zurechtmacht, ist enttäuscht, versteht die Absage aber, die Lage sei »grave«, schreibt sie.

Kurze Rückblende: San Michele

Der letzte Venedigaufenthalt war 2019 in der Woche von Allerseelen und Allerheiligen. Von der Fondamente Nove wird für elf Tage eine etwa fünfhundert Meter lange Brücke hinüber auf die Friedhofsinsel San Michele gebaut, der Ponte dei Santi e Defunti. Die ersten vier Tage ist die Insel nur für Einheimische zugänglich. Der Andrang ist groß, eine dichte Menschenmenge strömt über den Ponte. Die Männer oft mit Hacke, Maurerkellen und weiteren Werkzeugen, die Frauen mit Bürsten, Besen und Blumen, die Kinder wissen nicht genau, worin ihre Aufgabe bestehen soll, müssen aber mit. Auf dem Friedhof machen sich die Eltern an die Arbeit. Ziel ist es, die Gräber der Hinterbliebenen wieder schmuck herzurichten und zu reinigen. Abbröckelnde Steine werden neu verputzt, der Boden darum herum mit Kies frisch ausgelegt. Es wird geschliffen, gebohrt, genagelt und geschrubbt. Schiefe Holzkreuze werden wieder grade gerichtet. Die neuen Blumen werden drapiert, die Kerzen ersetzt. Die Mädchen und Buben spielen derweil Fangen. Nach vollendeter Arbeit wird die Familie zusammengerufen und man sammelt sich um das Grab und erinnert sich an die Nonna, den Nonno oder wer auch immer dort liegen mag. Die einen still, andere gestikulieren, schimpfen, fluchen, lachen. Ein Mann fragt seine Frau, ob das Todesjahr auf dem Holzkreuz wirklich stimme, der Vater sei doch 1995 gestorben und nicht schon 1993. Sie können sich nicht einigen. Daneben verharren die Menschen vor einem Grab, die Mutter spricht ein Gebet. Die Stimmung schwankt zwischen Betriebsamkeit und Besinnung, Fröhlichkeit und Trauer, eine merkwürdige Mischung gegensätzlicher Gemütslagen.

9. März 2020: Neues aus Venedig I

Franca schreibt: »Qua da noi la situazione è catastrofica.«

Im Corriere della sera berichtet ein Arzt aus Bergamo, dass sie entscheiden müssten, wer an ein Beatmungsgerät (Steiner & Schmid) angehängt werden kann und wem dies verweigert wird. »Eine Triage wie im Krieg«, wird er zitiert. Ab dem 8. März sind 16 Millionen Menschen in Norditalien in Quarantäne. Ministerpräsident Giuseppe Conte sagt: »Wir sind in einer nationalen Notsituation.« Wer kann, flüchtet aus Mailand. Am Abend des 8. März sind deshalb die Bahnhöfe und Züge zum Bersten voll. Mit den Menschen reisen auch die Viren ins ganze Land.

23. März 2020: Neues aus Venedig II

Die Hausverwaltung teilt mit: »Sehr geehrte Damen und Herren, nachdem wir uns mit den maßgebenden Referenten über die Notwendigkeit, alle Räume des Hauses sauber zu halten, ausgetauscht haben, kommen wir zum folgenden Schluss: Um der Ausbreitung von Covid-19 Einhalt zu gebieten, sind – unter Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit und der gegenseitigen Zusammenarbeit – ALLE aufgefordert, die Verantwortung für die Hygienisierung der eigenen Wohnung und der angrenzenden Räumlichkeiten mit Alkohol oder Chlor oder Ähnlichem zu übernehmen. Insbesondere betrifft dies auch die Klingeln, die Griffe der Handaufzüge und alles andere, was häufig und promiskuitiv benutzt wird.« (Die Übersetzung dieser bürokratisch formulierten Mitteilung erfolgt mit freundlicher Unterstützung von deepl.com.)

3. April 2020: Neues aus Venedig III

Franca schreibt: »Qua la situazione è bruttissima. Siamo tutti chiusi in casa.«

12. April 2020: Neues aus Venedig IV

Franca schreibt: »Stiamo bene ma purtroppo la mamma di M. … è positivo al virus. Per ora è stabile, non ha piu febbre da 2 giorni, ma ha una bruttissima tosse. Speriamo superi questo brutto momento al meglio. Sopraviviamo per ora, il governo non ci aiuta per niente. Noi non lavoriamo da più di 40 giorni e la vita continua… Il momento cerchiamo di farcela con quei pochi risparmi che abbiamo… Buona pasqua anche a voi di vero cuore.«

28. April: Neues aus Venedig V

Franca schreibt: »…noi stiamo bene. Volevo comunicarvi che dalla prossima settimana inizio da andare qualche giorno a Venezia per quel poco lavoro che mi è rimasto. Cerco di mantenerlo altrimenti qua si mangia piu.«

16. Juli 2020: Neues aus Venedig VI

Franca schreibt: »Secondo me potete venire. Venezia è abbastanza tranquilla.«

14. Oktober 2020: Neues aus Venedig VII

Franca schreibt: »Anche qua non è molto bella la situazione. Io ho perso il lavoro piu importante che avevo ‹causa covid›. Se si bloccano ancora non so come faro, già si va santa a stento. Speriamo bene… Il 2020 mi ha portato solo questo di bello: Alvise, il mio nipotino.«

10. November 2020: Neues aus Venedig IX

Franca schreibt: »Anche qua la situazione sarà aggravando nuovamente. Non posso crederci.«

2. Januar 2021: Neues aus Venedig X

Franca schreibt: »Mi scuso se non mi sono piu fatta sentire ma ho avuto grossi problemi di salute con M. E stato operato d’urgenza…«

25. Mai 2021: Neues aus Venedig XI

Franca schreibt: »Volevo comunicarle che dal 1 giugno ho ricevuto una proposta di lavoro vicino a casa e ho accettato. Purtroppo il covid mi ha messo in estreme condizioni… Grazie di tutto.«

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Der Pandemieplan Schweiz, in der aktuellen Fassung der Influenza-Pandemieplan Schweiz 2018, ist ein Planungsinstrument, das Strategien und Massnahmen zur Vorbereitung der Schweiz auf eine (Influenza-)Pandemie dokumentiert. Er wird von der Eidgenössischen Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP) und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) herausgegeben.

Der erste Pandemieplan für die Schweiz wurde von einer Arbeitsgruppe unter Leitung von Robert Steffen ausgearbeitet. Die Vorarbeiten wurden 1995 begonnen; der erste schweizerische Influenza-Pandemieplan wurde im Jahr 2004 veröffentlicht. Ein zentrales Anliegen sei laut Steffen dabei gewesen, dem Bund die Führung zu überlassen.

Nach den Erfahrungen in der Bewältigung der Influenza-Pandemie 2009 wurde der Schweizer Pandemieplan vollständig revidiert.

Kristian G. Andersen et al, The proximal origin of SARS-CoV-2, 

(abgerufen am 2.5.2020)