Über Zoonosen I

In dieser Pandemie scheint vieles eine Frage von Nähe und Distanz zu sein. Besser, wir halten uns das Virus vom Leibe. Und: Half der Klimawandel, den lästigen Erreger unter die Menschen zu bringen?
»Nähe fördert Austausch von Viren«, sagt Gertraud Schüpbach von der Universität Bern in der NZZ vom 11. April 2020. Die Virologin Sandra Junglen von der Berliner Charité forscht dort, wo die Wildtypen der Viren leben und spricht am 8. Februar 2021 in der Zeit darüber. Und spielt auch der Klimawandel eine Rolle, fragt sich der TA am 5. Februar 2021.
Im Labor (ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Comet Photo AG, Zürich)
Mensch trifft auf Natur.

»Nähe fördert Austausch von Viren«

Die Ausbreitung der Zivilisation scheint ein wesentlicher Faktor dafür zu sein, dass Viren, die in Wildtieren zirkulieren, auf Menschen überspringen. Beim SARS-CoV-2 gehen Epidemiologen und Biologen davon aus, dass es von einer Fledermausart über einen Zwischenwirt in einen Wildtiermarkt gekommen ist und dort erste Menschen infiziert hat. Die Epidemiologin und Veterinärin Gertraud Schüpbach von der Universität Bern stützt diese Vermutung. Zwar habe es solche Zoonosen schon immer gegeben, sagt sie in einem Interview mit der NZZ Ref. , aber die Häufigkeit (Sars, Mers, Ebola, vgl. Fabian Leendertz) nehme zu: »Vor allem unter den neu auftretenden Infektionskrankheiten sind auffällig viele Zoonosen. Weil die menschliche Population immer größer wird und die Menschen auch in entlegene Gebiete vordringen, nimmt die Anzahl der Kontakte zwischen den Menschen und den verschiedenen Tierarten zu. Das ist der wahrscheinlichste Grund, weshalb es immer mehr Krankheiten gibt, die vom Tier auf den Menschen übertragen werden… die Kontakte zwischen Mensch und Tier (sind) viel intensiver und häufiger geworden.«

Eine besondere Stellung bei der Übertragung nehmen die Lebendtiermärkte (Wirte und Märkte) ein, denn »dort kommt es nicht nur zum engen Kontakt zwischen Mensch und Tier, sondern auch zwischen den vielen verschiedenen Tierarten, die gehandelt werden.« So habe auch der Erreger der Vogelgrippe auf Schweine und Menschen übergehen können. Weil verschiedene Tierarten auf Märkten so nahe beieinander sind, werde der Austausch von Viren und der Austausch von Genen zwischen den Viren gefördert, so dass neue Influenzatypen entstehen können. Lebendtiermärkte seien aber auch aus tier- und artenschützerischen Gründen problematisch. Auf die Frage, ob die Ausrottung bestimmter Tierarten nicht auch die Erreger verschwinden lassen, antwortet Schüpbach: »Ja, auf den ersten Blick schon. Aber ich halte es für eine sehr schlechte Idee, das Problem der Zoonosen auf diese Weise zu lösen. Erstens hat die Vielfalt der Tierwelt an sich einen sehr hohen Wert und ist auch für den Menschen wertvoll. Zweitens begünstigt eine reduzierte Artenvielfalt erst recht die Übertragung von Krankheitserregern (Pandemien fallen nicht vom Himmel)… Geht nun eine Art zurück, weil sie intensiv bejagt oder ihr Lebensraum zerstört wird (Vgl. Ilaria Capua), gerät das Gefüge durcheinander. Plötzlich treffen Tiere aufeinander, die sich vorher nie begegnet wären. Das begünstigt die Übertragung von Erregern auf neue Wirte.« Dies trage auch dazu bei, dass die Krankheiten aggressiver werden, weil »ein Erreger auf einen neuen Wirt überspringt, an den er nicht angepasst ist. Für diesen ist er meist tödlicher als für seinen ursprünglichen Wirt.« Das sei beispielsweise bei einem Erreger in afrikanischen Warzenschweinen der Fall, der auf Hausschweine überspringe, bei denen verlaufe die Krankheit, im Gegensatz zum ursprünglichen Wirt, tödlich. Beim SARS-CoV-2 wisse man noch nicht genau, wie die Übertragung geschehen sei, es könnte sein, dass Nutztiere keine Rolle als Zwischenwirte eingenommen haben. Aber sicherlich helfe es für künftige Fälle, wenn Nutztiere tiergerecht gehalten werden und nicht in Gebiete vorrücken, wo sie auf Wildtiere treffen, wie etwa Rinder für die Fleischproduktion in den Regenwald. Für die Ausbreitung von Zoonosen sind »Mobilität und Globalisierung… wichtige Aspekte«, aber auch für den Transport von Viren via Flugzeuge und Schiffe in andere Weltregionen. Schüpbach schließt mit der Bemerkung, dass Ökosysteme möglichst gut erhalten bleiben müssen und Lebendtiermärkte abgeschafft gehören.

Sandra Junglen von der Berliner Charité, die ähnlich wie Schüpbach argumentiert, sucht in den unberührten Tropenwäldern nach allerlei Erregern. Im Zentrum stehen dabei die Virenwirte, denn die Viren selbst kann sich nicht auffinden. Wenn in einem Gebiet ein stabiles ökologisches Gleichgewicht besteht, so Junglen, deute das auf ein gesundes, komplexes Ökosystem mit vielen gegenseitigen Abhängigkeiten hin. Ref. Wenn das nicht der Fall ist, kommt es zu diffizilen Ungleichgewichten. Der Erreger der Lyme-Berreliose beispielsweise finde sich vor allem in Gebieten mit verminderter Biodiversität bestens zurecht, da sein Wirt, eine bestimmte Nagetierart, von Raubvögeln, Füchsen, Wiesel, deren Bestände drastisch abnehmen, immer häufiger verschont bleibt.

Für Sandra Junglen gilt es, die verdächtigen Wirte zu orten, in denen sie dann nach Viren, Parasiten, Bakterien fahndet. Sie forscht vor allem in intakten Ökosystemen und sucht nicht nach ganz spezifischen, einzelnen Erregern. Ihr geht es auch darum, inwiefern biologische Faktoren wie Artenvielfalt oder das Klima etc. die Ausbreitung beeinflussen. Und direkt daran anschließend: Wie verändern sich die Erreger, wenn sie ihr Ökosystem verlassen? Sie erhofft sich Erkenntnisse, wie man in Zukunft präventiv auf eine Infektionsgefährdung reagieren kann. Da stehen Fragen im Vordergrund wie etwa: Was fördert die Ausbreitung? Man muss den Weg nachverfolgen, der zur Überschreitung der Speziesgrenze geführt hat. Oder im spätkapitalistischen Schwurbel-Jargon ausgedrückt: Wo liegt die Schnittstelle, und was passierte vorher und was nachher. »Wer Pandemien verhindern will, muss ursprüngliche Ökosysteme wie den Regenwald erhalten, denn die Zerstörung von Ökosystemen und der damit einhergehende Verlust der Artenvielfalt begünstigen neuartige Infektionserkrankungen.« Es sei nicht so, obwohl dies eine gegenteilige Modellierung suggeriert, dass die Rodung von Regenwald zur Umfunktionierung in landwirtschaftliche Flächen gleichzeitig auch den Erregern den Garaus macht. Empirische Untersuchungen zeigen den gegenteiligen Effekt. Junglen hat herausgefunden, dass in intakten Wäldern zwar mehr verschiedene Viren in den Wirten sind, aber in deutlich tieferer Zahl als in jenen, die in geschädigten Ökosystemen vorkommen. Wenn die Tiere in nicht mehr intakten Gebieten beispielsweise dichter zusammengedrängt leben, kommt es häufiger zu Übertragungen. Wenn also der Lebensraum schrumpft, wird es gefährlicher. Falls der Mensch sich in diese Räume begibt, gilt das auch für ihn. Artensterben und Ausbreitung der zivilisatorischen Tätigkeiten in unberührte Naturräume etc. erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass es zu gefährlichen Zoonosen kommt.

Mit dem Klimawandel wurde gemäß Junglen kürzlich ein weiterer Faktor ins Spiel gebracht. Sie nimmt Bezug auf die jüngst publizierte Untersuchung einer Forschergruppe vom Potsdam-Institut für Klimaforschung. Ref.  Sie besagt, dass die Erwärmung in den Waldgebieten von Südchina – wo auch das SARS-CoV in einer Hufeisennase gefunden wurde – dazu geführt hat, dass sich dort viel mehr Fledertiere angesiedelt haben. Wenn sich nun die Zwischenwirte aufgrund des Klimawandels in neue Gebiete ausbreiten, betrifft dies auch die Ausbreitung und Entwicklung von Viren. Und dort finden die Fledertiere auch neue Nachbarn. Zum Beispiel den Larvenroller, den Zwischenwirt und Überbringer des SARS-CoV an die Menschen. Zwar gibt es noch keine festen Beweise, aber der Wandel in Südchina, Teilen von Burma und Laos vom tropischen Buschwald, den die Fledertiere nicht so mögen, in tropischen Laubwald, den die Fledertiere sehr wohl mögen, und in tropische Savannen haben die Verschiebung der Siedlungsgebiete der Fledermäuse in den Laubwald befördert. Junglen kann sich solche Mechanismen sehr gut vorstellen. »Die globalen Veränderungen sind einfach so groß, so vielfältig – ich glaube, das System Erde hält vieles aus, aber vielleicht ist der Puffer irgendwann einmal doch aufgebraucht.« Der Zusammenhang zwischen Epidemien, Artensterben, der Zerstörung von Ökosystemen und dem Klimawandel sind erkannt. Jetzt gilt es gemäß Junglen zu handeln.

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TA, 5. Februar 2021

Die Zeit, 8. Februar 2021

Virus

NZZ, 11. April 2020

Der Pandemieplan Schweiz, in der aktuellen Fassung der Influenza-Pandemieplan Schweiz 2018, ist ein Planungsinstrument, das Strategien und Massnahmen zur Vorbereitung der Schweiz auf eine (Influenza-)Pandemie dokumentiert. Er wird von der Eidgenössischen Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP) und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) herausgegeben.

Der erste Pandemieplan für die Schweiz wurde von einer Arbeitsgruppe unter Leitung von Robert Steffen ausgearbeitet. Die Vorarbeiten wurden 1995 begonnen; der erste schweizerische Influenza-Pandemieplan wurde im Jahr 2004 veröffentlicht. Ein zentrales Anliegen sei laut Steffen dabei gewesen, dem Bund die Führung zu überlassen.

Nach den Erfahrungen in der Bewältigung der Influenza-Pandemie 2009 wurde der Schweizer Pandemieplan vollständig revidiert.

Kristian G. Andersen et al, The proximal origin of SARS-CoV-2, 

(abgerufen am 2.5.2020)

NZZ, 11. April 2020