Über Mutanten

Ein Verdrängungskampf zwischen den verschienen Varianten. Eine unendliche Geschichte.
Woher kommen plötzlich all die Varianten? Und welche gelten als besonders gefährlich. Eine Bestandesaufnahme vom Januar 2021, mit einer Ergänzung vom März 2021, wohlwissend, dass die Entwicklung nicht nicht weitergeht.
Endlose Reise

Verdrängungskampf: Mutationen breiten sich aus.

In einem Überblicksartikel in der NZZaS vom 10. Januar 2021 erklären Martin Amrein und Theres Lüthi die Problematik der Mutationen.

In Südengland wurde am 20. September zum ersten Mal die sogenannte B.1.1.7-Mutation des SARS-CoV-2 nachgewiesen (heute: Alpha-Variante). England und Dänemark verfügen über jene Kapazitäten, die die aufwändige Sequenzanalysen erlauben. Daher ist dort die Datenlage relativ solide. Anfang Dezember lag in Dänemark die Spanne, in der sich die Anzahl Fälle verdoppelt, bei einer Woche. Die Reis-Schachbrett-Erzählung drängt sich auf. Bei gleichbleibenden Maßnahmen würde sich der R-Wert um geschätzte 0,4 bis 0,7 Punkte erhöhen, was einer Verdoppelung der jetzigen Ausbreitung entsprechen würde. Drosten Der Biophysiker Richard Neher der Universität Basel glaubt als Grund dieser Beschleunigung eine höhere Virenlast (Richard Neher über neue Mutanten). Die gleiche Person steckt bei gleicher Zeitdauer mehr Leute an. Die Mutation im Gen des Virus‘ betrifft das sogenannte Spike-Protein an der Oberfläche. Dieses Protein erlaubt dem Virus, in die menschliche Zelle einzudringen, ist also sozusagen ein Türöffner. Offenbar ist dank der Mutation dieser Türöffner-Vorgang für das Virus leichter geworden. In der Schweiz wurde die Mutante B.1.1.7 zum ersten Mal bei am 24. Dezember 2020 eingereisten Briten festgestellt. Unterdessen gibt es in der Schweiz leicht mehr Ansteckungen dieses Typus wie in Dänemark. Dummerweise sind die Kapazitäten für die Sequenzanalyse hierzulande nicht so gut ausgebaut. Die Genfer Virologin Isabella Eckerle hat aber über die Weihnachtstage einen PCR-Test entwickelt, der die B.1.1.7-Mutante identifizieren kann. Eine Sequenzierung des ganzen Genoms ist also nicht mehr nötig. Das Team um die Basler Biostatistikerin Tanja Stadler untersucht zudem zufällig ausgewählte Corona-Proben, um Aufschlüsse über die Häufigkeit zu erhalten. Weshalb in der B.1.1.7-Variante insgesamt 17 neue Mutationen entstanden sind, ist noch unklar. Der Berner Virologe Volker Thiel kann sich noch keinen Reim daraus machen, einiges liege noch im Dunkeln (Volker Thiel über die dritte Welle). Zwei Erklärungen stehen im Vordergrund: Einerseits könnten sie in Ländern entstanden sein, in denen wenig sequenziert wurde, also gewissermaßen viele Veränderungen unter dem Radar geschahen. Andererseits könnte es auch bei immunsupprimierten Personen oder Krebspatienten entstanden sein, wo das Virus sich aufgrund der Medikation des Wirtes anpassen musste. Es gibt Hinweise auf letztere Erklärung. Dagegen, so Thiel, hilft nur die Transmission zu senken, also die Fallzahlen zu drücken.

Die Auswirkungen dieser Befunde auf die Impfung ist noch nicht klar. Daher wird hier auf eine eingehendere Darstellung verzichtet. Nur so viel: Die bisher zugelassenen Impfstoffe scheinen bei der B.1.1.7-Mutante fast gleich gut zu wirken (wenn Sie das lesen, werden die Erkenntnisse schon viel ausgefeilter sein). Problematisch könnte es mit der B.1.315-Mutante werden, die auch als die südafrikanische Variante bekannt geworden ist (heute: Beta-Variante). Hier erkennt offenbar der jetzige Wirkstoff, beziehungsweise die hervorgerufenen Antikörper, das Virus schlechter. Das gilt auch für die Antikörper jener Leute, die durch die Krankheit immun geworden sind. Die B.1.315-Mutante hat sich noch nicht so weit ausgebreitet und scheint sich auch nicht so schnell zu übertragen wie B.1.1.7. Es ist möglich, die Impfung dank der neuartigen mRNA-Technik einfacher und schneller an die neuen Bedingungen anzupassen. Die Task-Force hat beschlossen, dass trotz der möglichen starken Zunahme von Infektionen durch die beiden Mutanten das Impfschema nicht geändert werden soll. Man böte dem Virus so die Chance, weiter zu mutieren. Es ist noch nicht eindeutig, wie lange eine Immunisierung wirkt. Fachleute gehen davon aus, dass die B.1.1.7-Mutante gegen Ende Februar die dominante SARS-Variante sein wird und den ursprünglichen, sogenannten Wildtyp bald ganz verdrängt haben wird. Das würde demzufolge eine Erhöhung des R-Werts bedeuten, also die Infektionszahlen dürften wieder ansteigen. Ziel der Maßnahmen müsste gemäß Experten sein, den R-Wert bis Ende Februar deutlich zu drücken. Die Berner Epidemiologin Emma Hodcroft plädiert für eine sofortige Verschärfung der Maßnahmen: »Schießen wir über das Ziel hinaus, erhalten wir so niedrige Fallzahlen, dass wir eine Menge Einschränkungen loswerden können.« (Emma Hodcroft über Mutationen)

(Und hier sei noch angemerkt: Tiefe Fallzahlen würde es zudem erlauben, endlich ein zuverlässiges Contact Tracing zu etablieren, wenn auch in den letzten zwei Monaten diesbezüglich Fortschritte zu vermelden waren.)

Woher kommen plötzlich all die Varianten? Ergänzt am 2. März: Neue Varianten in den USA

Stephanie Kusma schreibt in der NZZ vom 23. Januar 2021 über neue Entwicklungen zum Thema. In England, Südafrika, Brasilien und neuerdings in den USA sind die Varianten des SARS-CoV-2 aufgetaucht. Erfolgreich sind Mutationen nur, wenn sich die Viren selbst nicht schaden, das ist nachvollziehbar. Bei den Mutanten aus England, Südafrika und Brasilien scheinen sich Varianten durchzusetzen, die sich schneller ausbreiten. Folgerichtig verdrängen sie auch den Naturtyp von SARS-CoV-2. Die entscheidende Änderung hat sich im Bereich des Spike-Proteins abgespielt und wird N501 Y genannt (was die Stelle im Gen bezeichnet). Allerdings, so die Virologin Emma Hodcroft, habe man N501 Y schon früher gefunden, es sei dann aber wieder verschwunden. Offenbar brauchte es noch andere Mutationen, die erst später entstanden sind. Erst im Verbund mit diesen Mutationen konnte das erneut sich entwickelte Spike-Protein seine Wirkung entfalten. Die Virologin Silke Stertz von der Universität Zürich sagt, man könne die verschiedenen Mutationen in das Grundvirus einbauen, um herauszufinden, wie verschiedene Veränderungen zusammenwirken.

Sorgen bereitet aber auch die Mutation E484K. Sie erlaubt den Viren, den Antikörpern zu entkommen, und damit die Immunantwort erheblich zu behindern. Obwohl sich das SARS-CoV-2 eher langsam entwickelt und dank der Immunantwort der Infizierten nach zwei bis drei Wochen meist vernichtet worden ist, kommt es dennoch zu Fällen, in denen das Virus länger in einem Wirt wirkt und Zeit hat, zu mutieren. Das ist besonders bei Menschen mit einem beeinträchtigten Immunsystem der Fall. Weil das System die Viren nur partiell und ungenügend bekämpfen, haben diese die Möglichkeit, sich anzupassen und weiterzuentwickeln. In England geht man davon aus, dass die B.1.1.7-Mutante nach diesem Schema entstanden ist. Je länger die Pandemie dauert, desto häufiger kann es zu solchen Mutationen kommen, so Emma Hodcroft. In Manaus dürfte es sich ebenfalls um eine E484K handeln. Hodcroft betont, dass eine partielle Immunität verbunden mit einer hohen Fallzahl besonders gefährlich ist, bietet dies doch die ideale Gelegenheit für das Virus, zu mutieren und die Immunantwort der Menschen zu umgehen.

Stephanie Lahrtz fasst in der NZZ vom 1. März 2021 die neuesten Entdeckungen in den USA zusammen: Die New Yorker Variante enthält unter anderem die E484K-Mutation, also jene Veränderungen, die schon in Südafrika und Brasilien gefunden wurden und der menschlichen Immunantwort auf den SARS-Wildtyp entkommen. Die Bekämpfung fällt weniger effizient aus. Auch die Veränderung an der Position 501 konnte nachgewiesen werden, also die leichtere Übertragbarkeit. Es fehlen zwar noch umfassende Daten, aber Forscher sind beunruhigt über die alarmierend schnelle Ausbreitung. Bereits ein Viertel der Corona-Infizierten im Raume New York sind mit der neuen Mutante angesteckt worden. Noch etwas unsicherer sind die ersten Beobachtungen einer Mutante in Kalifornien. Hier treten neue, noch nie beschriebene Mutationen aufs SARS-Parkett. Es könnte sein, dass sie – wie die New Yorker Variante – ansteckender und resistenter sind. Belastbare Ergebnisse liegen noch nicht vor. Bemerkenswert ist, dass beide Varianten in Gebieten vorkommen, die bei der ersten Welle schon hart getroffen wurden. Dies unterstützt die These, dass der Wildtyp auf dem Rückzug ist, weil die Immunantwort des Menschen gegen ihn erfolgreicher ist. Es scheinen sich – irgendwie sehr nachvollziehbar – immer häufiger jene Mutationen auszubreiten, die entweder ansteckender oder resistenter geworden sind. Ebenfalls bemerkenswert ist die Tatsache, dass man überall, wo nach Mutanten gesucht wird, auch solche entdeckt werden. Das »unterstreicht die Bedeutung der genetischen Überwachung des Virus«, schreibt Stephanie Lahrtz.

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Der Pandemieplan Schweiz, in der aktuellen Fassung der Influenza-Pandemieplan Schweiz 2018, ist ein Planungsinstrument, das Strategien und Massnahmen zur Vorbereitung der Schweiz auf eine (Influenza-)Pandemie dokumentiert. Er wird von der Eidgenössischen Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP) und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) herausgegeben.

Der erste Pandemieplan für die Schweiz wurde von einer Arbeitsgruppe unter Leitung von Robert Steffen ausgearbeitet. Die Vorarbeiten wurden 1995 begonnen; der erste schweizerische Influenza-Pandemieplan wurde im Jahr 2004 veröffentlicht. Ein zentrales Anliegen sei laut Steffen dabei gewesen, dem Bund die Führung zu überlassen.

Nach den Erfahrungen in der Bewältigung der Influenza-Pandemie 2009 wurde der Schweizer Pandemieplan vollständig revidiert.

Kristian G. Andersen et al, The proximal origin of SARS-CoV-2, 

(abgerufen am 2.5.2020)

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