Lektüren: Susan Boos, »Pandemien fallen nicht vom Himmel«

Über die Übertragung
Die fundamentale Veränderung der Ökosysteme lassen sich zu einem großen Teil auf menschliches Handeln zurückführen, schreibt Susan Boos in der WOZ vom 2. April 2020.

In der WOZ beschreibt Susan Boos die verschiedenen Aspekte der Bekämpfung der Pandemie während der Anfangszeit, zum Beispiel: Schulen schließen (eher ungeeignet, da es noch keine messbare Wirkung gibt); Immunisierung ja oder nein (von der Idee gut, aber es braucht Untersuchungen und die dauern); Containment-Strategie (Infizierte isolieren, Fälle zurückverfolgen, klappt eher nicht, da das Virus sich zu schnell ausbreitet); Virentest ja oder nein (eigentlich ist es hierfür schon zu spät, da man die Kapazitäten nicht hat, die Fälle zurückzuverfolgen); Immunisierungstests wären im Prinzip gut (allerdings sind robuste Daten erforderlich und man muss bis zu drei Wochen nach der Ansteckung warten). Um die geeignete Strategie zu wählen, wäre es am besten, man kennte den Patienten null. Nur ist der kaum mehr ausfindig zu machen. Also müssen Virologen und Epidemiologen mit theoretischen Methoden eruieren, wie das Virus zum Menschen kam.

Man geht davon aus, dass es eine Zoonose war, eine Übertragung von einem Tier auf den Menschen (Gertraud Schüpbach). Hauptträger des Virus dürften Fledermäuse sein. Von ihnen sind sie durch Berührung (kann auch Speichel oder Kot sein) wahrscheinlich auf ein Schuppentier oder eine Zibetkatze gelangt. Eines dieser Tiere wurde auf einem Wildtiermarkt gekauft. Beim Zerlegen dürfte sich ein Mensch angesteckt haben (Fabian Leendertz). Voilà. Das Problem dabei ist, dass verschiedene Wildtiere, die sich sonst nie begegnen würden, wegen der Verdrängung durch die menschliche Zivilisation miteinander in Kontakt kommen. Im Normalfall könnten sie sich gegenseitig gar nicht mit irgendwelchen Viren anstecken. Die fundamentale Veränderung der Ökosysteme, die auf menschliches Wirken zurückgeht, spielt hier die entscheidende Rolle (Die Virologin Ilaria Capua sagt, der Mensch hat die Krise verursacht). Gerade Fledermäuse etwa tragen viele Viren auf sich, die Pandemien auslösen könnten und sie halten sich gerne in Palmölplantagen (Julian Charrière) auf, leben also viel näher am Menschen als üblich. Auf einen anderen zivilisatorischen beziehungsweise wirtschaftlichen Grund weist der US-amerikanische Virologe Nathan Wolfe hin: die überlebensnotwendige Jagd. »Für die große Mehrheit der einzelnen Subsistenzjäger ist das Risiko, sich eine neuartige tödliche Krankheit zuzuziehen, geringer als das Risiko, nicht zu jagen und zu verhungern.« Die Risikoabwägung, wobei wohl eher unbewusst, zwischen Verhungern und Virenbefall, kippt in Richtung Virenbefall. Das SARS-CoV-2 wird nicht das letzte sein, das eine Pandemie auslöst. Es gilt, sich darauf vorzubereiten. Solidarisches Handeln (vorzugsweise ohne Überwachung), Quarantäne (ohne Zwang), Aufklärung (damit die Quarantäne- und andere Maßnahmen verstanden werden). Unbekümmertes Durchseuchen wäre grobfahrlässig. Safer Distancing.

Nachtrag: Der Mensch erscheint im Holozän, der Mensch verschwindet im Anthropozän? Ein Chefökonom einer größeren Schweizer Bank hob hervor, dass es sich bei der Coronakrise um eine Naturkatastrophe handle, die nun eine Finanz- und Wirtschaftskrise auslöse. Das Unglück bricht demnach aus der Natur, also – vermeintlich – von außerhalb, in die Zivilisation ein. Virologinnen wie die hier erwähnten Wolfe, Capua und Schüpbach widersprechen dieser Auffassung. Erst durch menschliches Handeln erlangen diese Viren ihre Gefährlichkeit für uns. Und Philosophen, wie etwa Timothy Morton, stellen die Frage, ob der Dualismus von Kultur und Natur noch aufrechtzuerhalten ist (Timothy Morton).

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Virus

Der Pandemieplan Schweiz, in der aktuellen Fassung der Influenza-Pandemieplan Schweiz 2018, ist ein Planungsinstrument, das Strategien und Massnahmen zur Vorbereitung der Schweiz auf eine (Influenza-)Pandemie dokumentiert. Er wird von der Eidgenössischen Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP) und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) herausgegeben.

Der erste Pandemieplan für die Schweiz wurde von einer Arbeitsgruppe unter Leitung von Robert Steffen ausgearbeitet. Die Vorarbeiten wurden 1995 begonnen; der erste schweizerische Influenza-Pandemieplan wurde im Jahr 2004 veröffentlicht. Ein zentrales Anliegen sei laut Steffen dabei gewesen, dem Bund die Führung zu überlassen.

Nach den Erfahrungen in der Bewältigung der Influenza-Pandemie 2009 wurde der Schweizer Pandemieplan vollständig revidiert.

Kristian G. Andersen et al, The proximal origin of SARS-CoV-2, 

(abgerufen am 2.5.2020)