Kampf der Krankheit

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Untersuchungen haben gezeigt, dass sich die Blutgefässe entzünden und ein wahrer Zytokinsturm im Körper ausbrechen kann. Mit Blutverdünnern und anderen Mitteln werden diese Stürme bekämpft. Die Frage, inwiefern die Organe vom Virus beschädigt werden, bleibt bisher noch offen.
Blick in den Giftschrank

Es ist mittlerweile durch verschiedene Untersuchungen bestätigt worden, dass die SARS-CoV-2 Entzündungen auslösen. Bei Patienten mit einem geschwächten Immunsystem kommt es zu Überreaktionen bei der Bekämpfung der Viren, die lebensbedrohliche Komplikationen hervorrufen können. Das Protein Zytokin steuert ganz allgemein die Abwehr gegen Erreger. Bei einer Überreaktion des Immunsystems werden Zytokinen unkontrolliert freigesetzt. Man spricht von einer Hyperzytokinämie oder einem Zytokinsturm. Ref.

Der Antikörper Tocilizumab verhindert, dass Zytokine sich an die Zellen andocken können, ein Zytokinsturm kann somit verhindert werden. Bisher wurde Tocilizumab vor allem zur Behandlung von rheumatoider Arthritis bei Kindern verschrieben. In einer chinesischen Studie wurde untersucht, ob Tocilizumab, das auch unter dem Namen Actemra bekannt ist, bei Covid-Patienten positive Wirkung zeigt. »Die Patienten, bei denen schweres oder kritisches Covid-19 diagnostiziert wurde, erhielten zwischen dem 5. und 14. Februar 2020 zusätzlich zur Routinetherapie Tocilizumab… Das Fieber normalisierte sich am ersten Tag und andere Symptome besserten sich innerhalb weniger Tage bemerkenswert. Nach 5 Tagen konnte bei 15 der 20 Patienten die künstliche Sauerstoffaufnahme gesenkt werden, und ein Patient benötigte keine Sauerstofftherapie.« Ref. Insgesamt wird eine positive Bilanz gezogen: »Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Tocilizumab die klinischen Symptome wirksam verbessert und die Verschlechterung schwerer Covid-19-Patienten unterdrückt.«

Auch ein weiteres Medikament gegen rheumatoide Arthritis kommt nach positiven Untersuchungen in England auf den Intensivstationen vermehrt zum Einsatz: Dexamethason. Das Mittel gilt als entzündungshemmend. Bei Covid-Patienten mit einem schweren Verlauf und Intubation konnte das Medikament die Sterblichkeit markant senken, wie eine Studie der Universität Oxford ergab (Quelle: Deutsches Ärzteblatt). Bei mechanisch beatmeten Patienten um 35% und bei Sauerstoff-unterstützten um 20%. Allerdings gab es keine positiven Wirkungen bei Patienten mit milden Verläufen.

Auf der Forschung-und-Technik-Seite der NZZ schreibt Stefanie Lahrtz über Erkenntnisse bei der Behandlung von Covid-19-Patienten. Ärztinnen und Ärzte haben festgestellt, dass das Virus direkt die Blutgefässe angreife und somit die Blutgerinnung verstärke. Sowohl in München als auch in Zürich werden bei Patienten mit Blutgerinnungsschwierigkeiten daher relativ erfolgreich Blutverdünner abgegeben. Es habe sich gezeigt, dass bis zu zwei Drittel aller Covid-19-Toten (die Zahlen stammen aus Zürich, München und Mailand) »Mikrothromben, Entzündungen von Gefäßen in diversen Organen, Lungenembolien und andere Gerinnungsstörungen« aufweisen. Ref. Es seien also nicht zwingend etwa versagende Lungenbläschen Schuld, sondern verstopfte kleine Blutgefässe in den Lungen. Das sei eher ungewöhnlich und komme sonst bei Influenza-Erkrankungen nicht vor. Der ganze Körper werde von solchen Entzündungen der Blutgefäße in Mitleidenschaft gezogen. Daraus können sich Blutgerinnsel entwickeln. Deshalb könne vielleicht auch erklärt werden, warum gesunde, sportliche, jüngere Menschen ebenfalls schwer erkrankten, dann nämlich, wenn eine Blutgerinnungsstörung vorliege. Und es könnte damit zudem erklärt werden, dass nicht nur die Lunge, sondern auch andere lebenswichtige Organe wie die Niere, das Herz oder die Leber versagen können. Das Krankheitsbild muss modifiziert werden.

Bei Risikopatienten mit Bluthochdruck, Diabetes, Übergewicht, Arteriosklerose oder bei Rauchern seien die Blutgefäße ebenfalls nicht mehr robust genug, deshalb erkrankten diese schwerer. Wenn schon relativ früh die Behandlung mit Blutverdünnern begonnen werde, könne ein problematischer Verlauf gelindert oder sogar vermieden werden, meint Niels Kucher, Angiologe am Universitätsspital Zürich. In der FAZ unterstützt Joachim Müller-Jung diesen Befund. Aus den Schilderungen von Ärzten und Pathologen kann geschlossen werden, dass es sich bei Covid-19 nicht um eine besonders starke Grippe handle, die die Lungen angreife, sondern um eine Systemerkrankung. Ref. Das Virus finde überall molekulare Eintrittspforten und so komme es zwangsläufig auch zu Nierenversagen, Infarkten, Hirnhautentzündungen, schweren Durchfall und bei Risikogruppen zu weiteren Schädigungen. Das »entscheidende Schlachtfeld aber verbindet alle Organe: Im Blut verursachen die Viren ein regelrechtes Chaos.« Die immunologische Überreaktion führe im ganzen Körper zu fatalen Verheerungen. Eben zu einem Zytokinsturm. Müller-Jung sorgt sich auch um die Langzeitfolgen bei den Patienten. Die Zerstörungen im Gewebe hinterlassen tiefe Spuren, Vernarbungen, Traumata. Umso mehr seien auch die Medikamente, die die unmittelbare Virusvermehrung bekämpfen, besonders wichtig.

Die Gefahren für die Organe

Nicola von Lutterotti fasst nun in ihrem NZZ-Artikel vom 16. Januar 2021 die neusten Studien zusammen, die sich mit den Auswirkungen der Viruserkrankung auf die Organe beschäftigen. Untersuchungen aus der Schweiz, Österreich und Norwegen mit eher kleineren Probandenzahlen kommen zum Schluss, dass die meisten Personen auch vier Monate nach der Krankheit noch immer über Atemnot und Erschöpfung klagen. Das gilt auch für die weniger schwer Erkrankten. Bei Patienten mit einem schweren Verlauf konnten zudem auf CT-Lungen-Scans Auffälligkeiten festgestellt werden, bei den anderen nicht. Man weiß demnach nicht, weshalb bei leichten Erkrankungen nach vier Monaten immer noch Beeinträchtigungen festzustellen sind, objektiv (z.B. auf Röntgenbildern oder Scans) sind sie kaum oder nicht nachweisbar. Nicht überraschend ist der Befund, dass vor allem Menschen mit Vorerkrankungen schwere Verläufe zu meistern hatten. In den drei Studien konnten keine Kontrollgruppen untersucht werden. Unterschieden werden müsse, so die Kommentatoren der Studien, zwischen infektions- und behandlungsbedingten Organschäden und einem chronischen Fatigue-Syndrom. Bei Letzterem tappe man weiterhin im Dunkeln.

Dass andere Organe als die Lunge angegriffen werden, ist ungewiss. Zwar konnten bei Verstorbenen in den Herzen, den Nieren, den Blutgefässen und den Gehirnen Viren nachgewiesen werden, aber die Mengen waren ausgesprochen gering. Zudem ist nicht bekannt, ob auch bei Überlebenden Erreger in den besagten Organen festzustellen waren. In einer US-amerikanischen Studie wurden sogar keinerlei Viren in einem anderen Organ als der Lunge gefunden. Die Funktionen der Organe scheinen also nicht in erster Linie wegen der SARS-CoV-2 eingeschränkt gewesen zu sein. Das widerspricht den Befunden des Deutschen Verbandes für Pathologie oder den Berichten von Obduktionen von Alexander Tzankov und Zsuzsanna Varga (Aus den Spitälern). Eine Frankfurter Studie suchte mittels Kernspintomografie nach Hinweisen von Entzündungen im Herz. Bei etwa drei Vierteln der 100 Probanden fand man messbare Belege auf eine Entzündung. Die meisten litten an Vorerkrankungen. Inwiefern sich die Resultate verallgemeinern lassen, kann der Co-Studienleiter Eike Nagel nicht beurteilen. Wahrscheinlich würden sich die gefundenen Herzveränderungen zurückbilden, meint der Kardiologe.

Ohnehin ist bei der Interpretation Zurückhaltung geboten. Die verschiedenen Ergebnisse basieren auf eher kleineren Samples. Viele Untersuchte leiden an Vorerkrankungen und es fehlen verlässliche Kontrollgruppen, die die Daten etwas besser einordnen lassen würden.

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Nicola von Lutterotti, Wie stark greift Covid-19 die Organe an?, NZZ, 16. Januar 2021

Joachim Müller-Jung, Mehr als nur eine LungenkrankheitFAZ Appversion, 27. April 2020

NZZ, 23. Mai 2020

Xiaoling Xu et al., Effective treatment of severe COVID-19 patients with tocilizumab, Proceedings of the National Academy of Sciences of the United Sates of America (PNAS) https://www.pnas.org/content/117/20/10970 (abgerufen am 23. Mai 2020)

Virus

Juliane Gutmann, Zytokinsturm als Grund für gefährliche Covid-19-Verläufe, Merkur, https://www.merkur.de/leben/gesundheit/coronavirus-zytokinsturm-ursache-gefaehrliche-krankheitsverlaeufe-zr-13752421.html

Der Pandemieplan Schweiz, in der aktuellen Fassung der Influenza-Pandemieplan Schweiz 2018, ist ein Planungsinstrument, das Strategien und Massnahmen zur Vorbereitung der Schweiz auf eine (Influenza-)Pandemie dokumentiert. Er wird von der Eidgenössischen Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP) und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) herausgegeben.

Der erste Pandemieplan für die Schweiz wurde von einer Arbeitsgruppe unter Leitung von Robert Steffen ausgearbeitet. Die Vorarbeiten wurden 1995 begonnen; der erste schweizerische Influenza-Pandemieplan wurde im Jahr 2004 veröffentlicht. Ein zentrales Anliegen sei laut Steffen dabei gewesen, dem Bund die Führung zu überlassen.

Nach den Erfahrungen in der Bewältigung der Influenza-Pandemie 2009 wurde der Schweizer Pandemieplan vollständig revidiert.

Kristian G. Andersen et al, The proximal origin of SARS-CoV-2, 

(abgerufen am 2.5.2020)

Juliane Gutmann, Zytokinsturm als Grund für gefährliche Covid-19-Verläufe, Merkur, https://www.merkur.de/leben/gesundheit/coronavirus-zytokinsturm-ursache-gefaehrliche-krankheitsverlaeufe-zr-13752421.html