Marc Van Ranst über Maßnahmen und Surrealismus

Warum Belgien?
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Belgien trifft es auch in der zweiten Welle sehr hart. Die Infektionszahlen pro Kopf gehören auch im Oktober 2020 europaweit zusammen mit Tschechien und der Schweiz zu den höchsten. Der launische belgische Virologe Marc Van Ranst gibt in der NZZ vom 21. Oktober 2020 Auskunft: »Wir sind nicht ohne Grund das Land des Surrealismus.«
»Sagen wir mal, die Disziplin, sich an Regeln zu halten, ist anders als in den nordeuropäischen Ländern.« (Marc Van Ranst) (Bild: Wallpaper)

Belgien trifft es auch in der zweiten Welle sehr hart. Die Infektionszahlen pro Kopf gehören auch im Oktober 2020 europaweit zusammen mit beispielsweise Tschechien und der Schweiz (um nicht immer Frankreich, Spanien und das Vereinigte Königsreich zu nennen) zu den höchsten. Der belgische Virologe Marc Van Ranst äußert sich in einem Interview in der NZZ wie folgt:

Warum betrifft es Belgien dermaßen stark?

»Zunächst einmal ist Belgien ein im Zentrum Europas gelegenes Land mit einer sehr offenen Wirtschaft und einem hohen Durchgangsverkehr. Das macht uns verletzlich. Es ist auch eines der am dichtesten besiedelten Länder Europas… Wir sind praktisch ein Ballungsraum. Entscheidend ist aber auch, dass wir sehr viel testen. Vergleichen Sie das mit der Schweiz: Dort wurden 188’000 Corona-Tests pro Million Einwohner durchgeführt. In Belgien waren das mit 345’000 fast doppelt so viele. Je mehr Sie testen, desto höhere Fallzahlen bekommen Sie.«

Sind diese hohen Zahlen eine Folge der belgischen Mentalität?

»Sagen wir mal, die Disziplin, sich an Regeln zu halten, ist anders als in den nordeuropäischen Ländern. Wird ein Belgier mit einer Regel konfrontiert, lautet die erste Frage: Kann die Polizei kontrollieren, ob ich die Regel einhalte? Wenn das der Fall ist, lautet die zweite Frage: Wie kann ich die Regel trotzdem umgehen? Und wenn das nicht geht, gibt es immer noch die Möglichkeit, sich über die Regel lustig zu machen. Oder über den Experten, der die Regel vorschlägt. Im Zweifel gilt: Regeln sind immer für die anderen.«

Weitere Schwachstellen?

»Belgien hat wegen seines komplizierten föderalen Systems neun Gesundheitsminister. Neun! Und keiner dieser Leute weiß den Namen der anderen acht. Ich glaube, es gibt keinen Journalisten, der die Namen aller Gesundheitsminister aufzählen kann. Wir sind nicht ohne Grund das Land des Surrealismus. Die politischen Maßnahmen dieser Minister sind leider auch nicht stimmig… Und dann gibt es noch viele Lobbys, die nach dem Ende des ersten Lockdowns sehr früh dafür getrommelt haben, alle Sicherheitsmaßnahmen herunterzufahren. Die Leute sind dadurch unvorsichtig geworden.«

Warum solche hohen Todeszahlen?

»Dafür gibt es eine einfache Erklärung: Wir haben von Anfang an jeden Verdachtsfall mitgezählt. Im April wurde bei drei von vier Fällen eine Infektion als ‘mögliche’ Todesursache genannt… Sie können Ihre Corona-Zahlen natürlich besser aussehen lassen, wenn Sie die Übersterblichkeit nicht akkurat erfassen oder wenn Sie weniger testen.«

Reichen die neuen Maßnahmen (zum Beispiel die Schließung von Restaurants und Kneipen und verschärfte Kontaktregeln)?

»Ich sehe jedenfalls nicht, dass irgendein Weg an den Einschnitten vorbeiführt… Eine von fünf Infektionen tritt in der Altersgruppe von 20 bis 30 Jahre auf. Die Schließung von Bars und Cafés war absolut notwendig, auch wenn das in Belgien eine unpopuläre Maßnahme ist…«

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Virus

Der Pandemieplan Schweiz, in der aktuellen Fassung der Influenza-Pandemieplan Schweiz 2018, ist ein Planungsinstrument, das Strategien und Massnahmen zur Vorbereitung der Schweiz auf eine (Influenza-)Pandemie dokumentiert. Er wird von der Eidgenössischen Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP) und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) herausgegeben.

Der erste Pandemieplan für die Schweiz wurde von einer Arbeitsgruppe unter Leitung von Robert Steffen ausgearbeitet. Die Vorarbeiten wurden 1995 begonnen; der erste schweizerische Influenza-Pandemieplan wurde im Jahr 2004 veröffentlicht. Ein zentrales Anliegen sei laut Steffen dabei gewesen, dem Bund die Führung zu überlassen.

Nach den Erfahrungen in der Bewältigung der Influenza-Pandemie 2009 wurde der Schweizer Pandemieplan vollständig revidiert.

Kristian G. Andersen et al, The proximal origin of SARS-CoV-2, 

(abgerufen am 2.5.2020)